Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
wann es ihnen passte, und dieses war keine Ausnahme. Die Frage war, ob der Staat zulassen würde, dass es seinen ersten Atemzug tat. Deshalb kam mit dem ersten Muskelzwicken, dem ersten Vorboten der Wehenkontraktionen, auch die Angst, dass ein Mord begangen, dass ihr eigener Körper der Schauplatz des Verbrechens werden würde und dass sie mit ansehen und spüren müsste, wie das Baby aufhörte, sich zu bewegen, und starb. Die Angst war die letzte Steigerung all der schlaflosen Nächte und Albträume, deretwegen sie wochenlang ihr Bett nass geschwitzt hatte. Ihre Kollegen wunderten sich, warum sie so ein komisches Gesicht machte. Ein paar von den Frauen in der Fabrik hatten ihr Geheimnis schon erraten, auch wenn sie nie mit ihr darüber gesprochen hatten. Es war ein Wunder, dass niemand sie denunziert hatte, denn das war Lien-Huas größte Sorge gewesen – aber anscheinend war das etwas, was keine Frau einer anderen antun konnte. Einige von ihnen hatten ebenfalls Töchter auf die Welt gebracht, die ein oder zwei Jahre später ›zufällig‹ gestorben waren, um dem Wunsch ihrer Männer nach einem männlichen Erben nicht im Weg zu stehen. Hierbei handelte es sich um einen weiteren Aspekt des Lebens in der Volksrepublik, über den selten gesprochen wurde, sogar unter Frauen nicht.
Während also die Muskeln ihres Unterleibs die bevorstehende Geburt ankündigten, blickte sich Yang Lien-Hua verzweifelt in der Fertigungshalle um und hoffte, es würde wieder aufhören oder sich zumindest noch für eine Weile hinauszögern. Noch fünf Stunden, und sie konnte mit dem Fahrrad nach Hause fahren und das Baby dort zur Welt bringen. Mochte das auch nicht so ideal sein wie am Wochenende, es war dennoch besser, als hier, am Arbeitsplatz, eine Notgeburt zu haben. Lotusblüte schärfte sich ein, dass sie jetzt ganz stark und tapfer sein musste. Sie schloss die Augen, biss sich auf die Unterlippe und versuchte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, aber das Zwicken wurde rasch stärker. Nach einer Weile würden leichte Schmerzen eintreten, gefolgt von richtigen Kontraktionen, die es ihr nicht mehr gestatten würden, sich auf den Beinen zu halten, und dann… ja, was dann? Es war das Unvermögen, auch nur ein paar Stunden in die Zukunft schauen zu können, das sie das Gesicht stärker verziehen ließ. Sie hatte Angst vor dem Tod, und obwohl diese Angst alle Menschen kannten, galt ihre dem neuen Leben in ihr, nicht nur sich allein. Sie fürchtete, es sterben sehen zu müssen, sterben fühlen zu müssen, mitzuerleben, wie eine ungeborene Seele dahinschied, und wenn sie auch sicher zu Gott zurückkehren würde, konnte dies nicht Gottes Absicht sein. Sie brauchte jetzt dringend geistlichen Zuspruch. Sie brauchte auch ihren Mann Quon. Aber noch mehr brauchte sie Reverend Yu. Doch wie sollte das gehen?
Die Kamera war rasch aufgebaut. Beide Geistliche sahen interessiert dabei zu, weil sie so etwas noch nie miterlebt hatten. Die Fragen, die sie allerdings zehn Minuten später gestellt bekamen, enttäuschten sie. Beide hatten Wise im Fernsehen gesehen und beide hatten mehr von ihm erwartet. Ihnen war nicht klar, dass die Story, die ihn eigentlich interessierte, ein paar Kilometer und etwa eine Stunde entfernt stattfand.
»Gut«, sagte Wise, als die einfachen Fragen gestellt und beantwortet waren. »Können wir Sie jetzt zu Ihrem Bekannten begleiten?«
»Gewiss«, antwortete Seine Eminenz und stand auf, um sich zu entschuldigen. Denn selbst Kardinäle müssen auf die Toilette, bevor sie mit dem Auto fahren – zumindest in DiMilos Alter. Aber er war rasch wieder zurück und ging mit Schepke zum Auto. Der Monsignore würde es selbst fahren, zum anhaltenden Missfallen ihres Dieners und Chauffeurs, der, so vermuteten sie, in den Diensten des Ministeriums für Staatssicherheit stand. Der CNN-Van folgte ihnen durch die Straßen von Peking zu dem bescheidenen Haus von Reverend Yu Fa An. Parken war kein Problem. Die zwei katholischen Geistlichen gingen mit einem großen Paket auf Yus Haustür zu, stellte Wise fest.
»Ah!«, entfuhr es Yu mit einem überraschten Lächeln, als er ihnen öffnete. »Was führt Sie zu mir?«
»Mein Freund, wir haben Ihnen etwas mitgebracht«, sagte der Kardinal und hob das Paket hoch. Es war eindeutig eine große Bibel. Yu bat sie hinein, dann bemerkte er die Amerikaner.
»Sie haben gefragt, ob sie mitkommen dürfen«, erklärte Monsignore Schepke.
»Natürlich«, sagte Yu sofort. Er fragte sich, ob
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