Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
nur selten die Mühe, ihre Sprüche zu verschlüsseln. Manche outen sich als enorm potente Kerle, George, sind aber dabei nicht übermäßig verdorben, wie es scheint. Einige von ihnen haben eine Affäre mit ihren Sekretärinnen. Das wäre schon alles.«
Der Finanzminister grinste müde. »Das soll es nicht nur in Peking geben.«
»Sie meinen, womöglich auch an der Wall Street?«, staunte Ryan mit theatralischer Miene.
»Ich bin nicht sicher, Sir, aber es kursieren Gerüchte, die einen solchen Verdacht nahe legen.«
Der Präsident dachte daran, was sich hier in diesem Büro zugetragen hatte. Natürlich war es zum Amtswechsel gründlich renoviert und neu möbliert worden. Nur der Präsidentenschreibtisch stand wie eh und je auf seinem Platz – gewissermaßen als Unterlage für den Aktenberg, den die Vorgänger nicht hatten abtragen können. Dass, wie immer behauptet wurde, die Öffentlichkeit ein kurzes Gedächtnis habe, stimmte so jedenfalls nicht. Dem widersprachen sehr beredt die unzähligen Tuscheleien hinter vorgehaltener Hand, das anschließende Gekichere und die verstohlenen, wissenden Blicke, die auf den, der sich ihnen ausgesetzt sah, schrecklich beschämend wirkten. Dagegen konnte man sich einfach nicht wehren, und man tat gut daran, einfach darüber hinwegzuhören beziehungsweise hinwegzusehen. Und dann blieb einem nicht viel mehr übrig als die Hoffnung, dass die Leute glaubten, man sei clever genug, sich nicht erwischen zu lassen. Denn schließlich machten es ja alle, oder etwa nicht? In einem freien Land zu leben bedeutete eben auch, dass außerhalb dieses Palais/Gefängnisses jeder Depp denken und sagen konnte, was er wollte. Und im Unterschied zu anderen hatte Ryan nicht einmal die Möglichkeit, einem Deppen, der schlecht über ihn redete und sich nicht durch gutes Zureden davon abbringen ließ, auch mal eins aufs Maul zu hauen. Das war zwar nicht fair, aber im Grunde doch recht praktisch, denn sonst hätte Ryan von einer Eckkneipe zur anderen laufen und sich die Knöchel wund boxen müssen, für nichts und wieder nichts. Und irgendwelche Spezialagenten oder bewaffnete Marines loszuschicken, damit sie diesen Deppen das Maul stopften, stand einem Präsidenten auch nicht gut zu Gesicht, oder?
Jack wusste, dass er für diesen Job eigentlich viel zu dünnhäutig war. Normalerweise hatten Profipolitiker ein Fell, gegen das sich die Schwarte eines Rhinozeros wie ein Rosenblatt ausnahm, standen sie doch ständig im Sperrfeuer der Kritik, die auch mal unberechtigt sein konnte. Durch die Pflege des dicken Fells immunisierten sie sich gegen Schmerz, so dass die Schlammschmeißer bald keine Lust mehr hatten, weiter auf sie anzulegen. So oder ähnlich funktionierte das, zumindest theoretisch. Für manche vielleicht auch in der Praxis. Oder vielleicht hatten diese Typen auch einfach kein Gewissen. Wer weiß?
Ryan jedenfalls hatte ein Gewissen. Eines zu haben war schon früh sein ausdrücklicher Wunsch gewesen. Man kam ja nicht immer am Blick in den Spiegel vorbei, zum Beispiel wenn es Zeit wurde, sich zu rasieren, und es gab kein Kraut, das geholfen hätte, in das eigene verabscheute Gesicht zu blicken, ohne depressiv zu werden.
»Zurück zu unseren Problemen mit der Volksrepublik, George«, sagte der Präsident im Präsidialton.
»Sie wollen ihren Handel aufpeppen, wenn auch nur den Export. Der eigenen Bevölkerung wird dringend davon abgeraten, amerikanische Produkte zu kaufen, aber was sich verkaufen lässt, wird verkauft. Auch Maos Jungfrauen, wahrscheinlich.«
»Gibt es Belege dafür?«
»Jack, ich schaue mir die Resultate genau an, und ich habe Freunde in verschiedenen Branchen, die die Ohren offen halten und vertrauliche Gespräche führen. Vieles von dem, was sie in Erfahrung bringen, geben sie an mich weiter. Wissen Sie, die meisten Chinesen haben eine merkwürdige physiologische Besonderheit. Ein einziger Drink bewirkt bei denen so viel wie bei unsereinem das Vier- oder Fünffache, und der zweite Drink ist wie eine Flasche Jack Daniels auf ex getrunken. Trotzdem meinen manche, mithalten zu müssen, aus Höflichkeit oder so. Wie auch immer, wenn es dazu kommt, sitzt die Zunge ziemlich locker. Mark Gant versucht diesen Umstand seit einiger Zeit systematisch auszuschlachten. Hochgestellte Persönlichkeiten verkehren gern in gewissen Etablissements, nun ja … Ich lasse dem Geheimdienst inzwischen einiges durchgehen, zumal er auch in Sachen Wirtschaftskriminalität sehr aktiv ist, Sie verstehen.
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