Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Zirkel der erfolgreichen Börsianer wussten nur die wenigsten davon, was erstaunlich genug war. Falls er je an die Wall Street zurückkehren sollte, würde er dank seines Renommees haufenweise Geld im Schlaf verdienen. Und das wäre, wie Winston versicherte, ganz und gar ehrlich verdient, gleichgültig, was die Medien davon hielten.
»Ist es wegen China?«, fragte Jack.
»Ja, Boss«, bestätigte Winston nickend. Die Anrede ›Boss‹ fand Ryan durchaus in Ordnung, zumal sie im Jargon des Geheimdienstes – der übrigens zu Winstons Ministerium gehörte – all diejenigen bezeichnete, denen Personenschutz gewährt wurde. »Die haben zurzeit Liquiditätsprobleme und würden sich gern mit uns vertragen.«
»Wie hoch ist ihr Defizit?«, wollte der Präsident wissen.
»Ungefähr 70 Milliarden, auf ein Jahr gerechnet.«
»Eine Stange Geld.«
George Winston nickte. »Allerdings.«
»Wohin ist das ganze Geld gegangen?«
»Das haben sie nicht so genau gesagt. Ein Großteil vermutlich in die Rüstung. Seit die Briten den Turbinen-Deal mit Rolls-Royce haben platzen lassen, engagiert sich die französische Waffenindustrie um so stärker.«
Der Präsident nickte und blickte auf seine Vorlage. »Ja, Basil hat seinem Premierminister dringend abgeraten.« Die Rede war von Basil Charleston, dem Chef des britischen Geheimdienstes, der manchmal auch (irrtümlich) mit dem Kürzel MI6 bezeichnet wurde. Ryan war seit seiner Zeit bei der CIA mit Basil befreundet. »Das war sehr mutig von ihm.«
»Nun, unsere französischen Freunde scheinen anderer Meinung zu sein.«
»Wie immer«, bemerkte Ryan. Das Verhältnis zu den Franzosen hatte einen eigentümlich zwiespältigen Charakter. In vielerlei Hinsicht waren sie enge Verbündete, Blutsbrüder nahezu. In manchen Fragen aber gab es große Differenzen, und Ryan konnte aus ihnen oft nicht schlau werden. Was soll’s, dachte der Präsident, dafür habe ich schließlich ein Außenministerium. »Sie glauben also, die Volksrepublik rüstet wieder auf?«
»Ja. Davon scheint aber diesmal nicht so sehr die Marine zu profitieren, was unsere Freunde in Taiwan beruhigen dürfte.«
Nach dem glücklichen Ausgang des Konflikts mit den Vereinigten Islamischen Republiken, die wieder in die zwei unabhängigen, nunmehr friedlich koexistierenden Staaten Irak und Iran auseinander gefallen waren, hatte sich Ryan zu einer neuen außenpolitischen Initiative aufgeschwungen und Taiwan als souveränen Staat anerkannt, seine Gründe dafür aber nie öffentlich kundgetan. Für Ryan und seinen Außenminister Scott Adler stand unbestreitbar fest, dass die Volksrepublik China den zweiten Golfkrieg mit angezettelt hatte und wahrscheinlich auch mitverantwortlich war für den vorausgegangenen Konflikt mit Japan. Warum? Teile der CIA vermuteten, dass es China auf die reichen Bodenschätze im sibirischen Osten abgesehen hatte – Anhaltspunkte dafür hatten abgefangene Telefonate und E-Mail-Korrespondenzen japanischer Industrieller geliefert, die allem Anschein nach an Spannungen zwischen ihrem Land und Amerika interessiert waren. Sie bezeichneten Sibirien als ihre ›nordasiatische Wohlstandssphäre‹, analog zu dem Begriff der ›ostasiatischen Wohlstandssphäre‹, mit dem eine frühere Generation von Japanern den asiatischen Südosten belegt hatte. Diese Expansionsabsichten Japans waren eine der Ursachen für den Zweiten Weltkrieg gewesen. Wie auch immer, Chinas Komplizenschaft mit Feinden Amerikas hatte nach Meinung von Ryan und Adler eine Gegenmaßnahme erforderlich gemacht, und außerdem: Die Republik China auf Taiwan war eine echte Demokratie mit ordentlich gewählten Repräsentanten in der Regierung, und das verdiente Respekt, sprich Anerkennung.
»Wissen Sie, es wäre besser, sie brächten ihre Marine auf Vordermann und würden Taiwan damit Angst machen. Wir sind sowieso am längeren Hebel und ...«
»Meinen Sie das im Ernst?«, unterbrach der Finanzminister.
»Jedenfalls meinen das die Russen«, antwortete Jack.
»Warum verkaufen die dann so viel Rüstungsgüter an China?«, fragte Winston. »Wo ist da der Sinn?«
»George, es gibt keine Regel, die vorschriebe, dass die Welt Sinn ergeben muss.« Einer von Ryans Lieblingsaphorismen. »Das lernt man beim Geheimdienst. Raten Sie mal, wer 1938 Deutschlands wichtigster Handelspartner war.«
Winston fürchtete schon, als Geschichtsbanause entlarvt zu werden. »Frankreich?«
»Exakt.« Ryan nickte. »Dann, ’41 und ’42, haben die Deutschen jede
Weitere Kostenlose Bücher