Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
dass der SM-2-ER gegen den Atomwaffensperrvertrag von 1972 verstoßen könnte, der allerdings mit einem Land unterzeichnet worden war, das sich Union der sozialistischen Sowjetrepubliken nannte und selbstverständlich nicht mehr existierte. Aber nach dem Golfkrieg von 1991 hatte die Navy mit dem Gedanken gespielt, die Standard Missiles und das Aegis-System einzusetzen, die Lenkwaffen wie den irakischen SCUDs haushoch überlegen waren. Während dieses Krieges waren tatsächlich schon Aegis-Schiffe in saudiarabische und andere Häfen am Golf entsandt worden, um sie gegen ballistischen Beschuss zu schützen. Aber da keine Lenkwaffe in diese Richtung abgeschossen worden war, war das System nie im Gefechtseinsatz erprobt worden. Stattdessen brachen Aegis-Schiffe in regelmäßigen Abständen zum Kwajalein-Atoll auf, wo ihre Leistungsfähigkeit bei der Abwehr von Lenkwaffen mit thermonuklearen Gefechtsköpfen mithilfe von Zieldrohnen getestet wurde und wo sie meistens funktionierten. Aber das war nicht ganz dasselbe, erkannte Gregory. Ein ICBM-Wiedereintrittskörper hatte eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 27 000 Kilometern pro Stunde, oder 25 000 Metern pro Sekunde, was fast das Zehnfache der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel bedeutete.
Das Problem war hier seltsamerweise sowohl die Hardware als auch die Software. Der SM-2-ER-Block-IV-Marschflugkörper war tatsächlich in Hinblick auf die Zerstörung eines ballistisches Ziels entwickelt worden, was sich unter anderem auch daran zeigte, dass sein Endanflugslenksystem mit Infrarot operierte. Theoretisch konnte man einen Wiedereintrittskörper für Radar unsichtbar machen, aber alles, was mit Mach 15 und mehr durch die Atmosphäre schoss, würde sich auf die Schmelztemperatur von Stahl erhitzen. Er hatte in Kwajalein Minuteman-Gefechtsköpfe vom Vandenberg-Air-Force-Stützpunkt hereinkommen sehen. Sie kamen in einem Winkel von etwa 30 Grad angeflogen wie künstliche Meteore, sogar bei Tageslicht sichtbar, und sie wurden, was allerdings nicht zu erkennen war, langsamer, sobald sie in dichtere Luftschichten eintraten. Der Trick war, sie zu treffen, beziehungsweise sie nachhaltig genug zu treffen, um sie zu zerstören. Was das anging, waren die neuen tatsächlich leichter zu zerstören als die alten. Die ursprünglichen Wiedereintrittskörper waren aus Metall gewesen, einige tatsächlich aus Berylliumkupfer, das ziemlich stabil war. Die neuen waren leichter – sie konnten deshalb einen schwereren und stärkeren nuklearen Gefechtskopf tragen – und waren aus dem gleichen Material wie die Platten des Space Shuttle. Es unterschied sich kaum von Styropor und war auch nur unwesentlich stabiler, da es nur zur Hitzeisolierung diente, und auch das nur für wenige Sekunden. Die Space Shuttles waren nicht selten beschädigt worden, wenn ihre 747-Fähre durch eine Gewitterzone geflogen war, und es gab im ICBM-Business Leute, die Regentropfen wegen des Schadens, den sie an einem im Senkflug befindlichen Wiedereintrittskörper anrichten konnten, als ›Hydro-Meteore‹ bezeichneten. In einigen wenigen Fällen, in denen Wiedereintrittskörper durch ein Gewitter heruntergekommen waren, waren sie durch relativ kleine Hagelkörner so stark beschädigt worden, dass der Nukleargefechtskopf möglicherweise nicht richtig funktioniert hätte.
Ein solches Ziel war fast genauso leicht zu zerstören wie ein Flugzeug – einen Flieger runterzuholen ist ganz einfach, man muss ihn nur treffen, etwa so, als ob man mit einer Schrotflinte eine Taube schießt.
Selbst wenn man mit seiner Abfangwaffe dicht rankam, hieß das noch nicht viel. Der Gefechtskopf einer Boden-Luft-Rakete funktioniert in etwa nach dem gleichen Prinzip wie eine Schrotpatrone. Die Sprengladung zerstört das Metallgehäuse und verwandelt es in scharfkantige Splitter mit einer Anfangsgeschwindigkeit von etwa 1 500 Metern pro Sekunde. Diese Splitter reichen normalerweise völlig aus, um die Aluminiumhaut zu durchdringen, aus denen die Höhen- und Seitenleitflächen und die tragenden Teile im Innern eines Flugzeugrumpfes bestehen. Und damit verwandeln sie ein Flugzeug in ein ballistisches Objekt, das ebensowenig flugfähig ist wie ein Vogel ohne Flügel.
Um allerdings ein Flugzeug zu treffen, muss man den Gefechtskopf weit genug von seinem Ziel entfernt zum Explodieren bringen, damit sich der von den fliegenden Splittern gebildete Kegel mit dem vom Ziel eingenommenen Raum überschneidet. Bei einem Flugzeug ist das nicht schwer,
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