Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
nahe gelegenen Stadt Yancheng.
Der Präsident von Butterfly war erst 32 Jahre alt, und nach zehn Jahren harter Arbeit glaubte er, sich nun einen Wunschtraum erfüllen zu können, den er schon seit der Zeit an der Erasmus Hall High School in Brooklyn hegte. Seit seinem Studienabschluss am Pratt Institute hatte er fast jeden Tag damit verbracht, sein Unternehmen aufzubauen, und jetzt war er endlich an dem Punkt angekommen, dass er sich den Privatjet leisten konnte, mit dem er jederzeit nach Paris fliegen konnte, wenn ihm gerade danach war. Außerdem wollte er ein Haus in der Toskana kaufen und ein anderes in Aspen und ab sofort so leben, wie er es sich verdient hatte.
Die Sache hatte nur einen winzig kleinen Haken. Vor seinem Hauptgeschäft in der Park Avenue, Ecke 50 th , war an diesem Tag etwas passiert, das in etwa so undenkbar war wie die Landung eines Raumschiffs vom Mars. Es war vor dem Ladenlokal zu einer Demonstration gekommen. Menschen in Kleidern von Versace waren aufgetaucht, die Schilder und Transparente hochhielten, um gegen den Handel mit BARBAREN! zu protestieren und Butterfly vorzuhalten, dass die Firma mit einem solchen Land Geschäfte machte. Jemand hatte sogar das Bild einer chinesischen Flagge mit einem Hakenkreuz darauf mitgebracht, und wenn es etwas gab, womit jemand sein Geschäft in New York nicht in Zusammenhang gebracht haben wollte, dann war es Hitlers grässliches Erkennungszeichen.
»Wir müssen in dieser Sache unbedingt rasch etwas unternehmen«, sagte der Justitiar. Er war Jude und hatte Butterfly auf dem Weg zum Erfolg schon durch so manches Minenfeld gelotst. »Das könnte uns sonst zum Verhängnis werden.«
Die Lage war ernst, eine Tatsache, die den übrigen Mitgliedern des Aufsichtsrats sehr wohl bewusst war. Exakt vier Kundinnen waren an diesem Tag an den Demonstranten vorbei in den Laden gekommen, und eine von ihnen hatte ein Kleidungsstück zurückgegeben, weil sie es, wie sie sagte, nicht mehr in ihrem Kleiderschrank hängen haben wollte.
»Wie sieht es mit unserem Warenbestand aus?«, wollte der Gründer und Leiter der Firma wissen.
»In konkreten Zahlen?«, fragte der Chef der Finanzabteilung zurück. »Also, potentiell vierhundert.« Womit er 400 Millionen Dollar meinte. »Das könnte uns in, ähm, zwölf Wochen ruinieren.«
Solch eine Formulierung hörte der Unternehmensleiter nicht gern. Eine Bekleidungsfirma so groß aufzubauen, wie er es getan hatte, war etwa so einfach, wie während des jährlichen Haifischkongresses den Atlantik zu durchschwimmen. Und ausgerechnet jetzt geriet er in ein weiteres Minenfeld, und das auch noch ohne jede Vorwarnung.
»Okay«, sagte er so gelassen, wie es sein rumorender Magen zuließ. »Was können wir dagegen tun?«
»Wir könnten aus unseren Verträgen aussteigen«, riet der Anwalt.
»Ist das rechtlich zulässig?«
»Dafür zu sorgen ist meine Aufgabe.« Womit er meinte, dass die finanzielle Belastung, die chinesischen Hersteller auszubooten, geringer wäre, als ein Geschäft voller Produkte zu haben, die niemand kaufen wollte.
»Alternativen?«
»Die Thais«, sagte der Leiter der Herstellungsabteilung. »In Bangkok gibt es eine Firma, die liebend gern einspringen würde. Sie haben uns übrigens heute Morgen angerufen.«
»Mehrkosten?«
»Weniger als vier Prozent Differenz. Drei Komma sechsundneunzig, um genau zu sein. Und sie könnten in, äh, spätestens vier Wochen mit der Produktion beginnen. Wir haben genug auf Lager, um die Läden so lange zu beliefern, kein Problem.«
»Wie viel von unseren Lagerbeständen kommt aus China?«
»Eine Menge wurde in Taiwan gefertigt, wissen Sie noch? Wir könnten diese Aufkleber an den Sachen anbringen lassen… und wir könnten da auch ein bisschen tricksen.« Nicht allzu viele Verbraucher kannten die Unterschiede einzelner chinesischer Ortsnamen. Zwei Flaggen waren da schon wesentlich einfacher auseinander zu halten.
»Es wäre ohne weiteres möglich, schon morgen eine Kampagne zu starten«, flocht die Marketing-Abteilung ein. »›Butterfly macht keine Geschäfte mit Drachen.‹« Er hielt eine Illustration hoch, auf dem das Firmenlogo vor einem feuerspeienden Drachen zurückwich. Dass das Ganze unsäglich abgeschmackt aussah, tat im Moment nichts zur Sache. Sie mussten dringend etwas unternehmen.
»Ach, vor einer Stunde hat Frank Meng von Meng, Harrington und Cicero angerufen«, verkündete der Herstellungsleiter. »Er sagt, er könne innerhalb weniger Tage ein paar taiwanesische
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