Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
übernahm das Mogeln das Finanzministerium, ein uneheliches Waisenkind in einem marxistischen Land, bevölkert von Bürokraten, die sich Tag für Tag abmühten, alle möglichen unmöglichen Dinge zu tun. Die erste und einfachste Unmöglichkeit war, ihre ranghöchsten Mitglieder alles vergessen zu lassen, was sie auf der Universität und auf kommunistischen Parteiversammlungen gelernt hatten. Um am internationalen Währungssystem teilnehmen zu können, mussten sie die Regeln des monetären Geldverkehrs verstehen und befolgen, nicht das Wort von Karl Marx.
Dem Finanzministerium fiel deshalb die unangenehme Aufgabe zu, der kommunistischen Geistlichkeit zu erklären, dass ihr Gott ein falscher Gott war, dass sich ihr perfektes theoretisches Modell nicht auf die reale Welt übertragen ließ und sie sich deshalb einer Realität beugen mussten, die sie stets hartnäckig geleugnet hatten. Die Bürokraten im Ministerium waren größtenteils nur Beobachter, gewissermaßen wie Kinder, die ein Computerspiel spielten, das ihnen aber dennoch Spaß machte. Einige der Bürokraten waren sogar ziemlich clever und spielten das Spiel so gut, dass sie bei ihren Transaktionen manchmal Gewinn machten. Diejenigen, denen das gelang, wurden befördert. Einige fuhren sogar im eigenen Auto zur Arbeit und wurden von der neuen Klasse von einheimischen Industriellen umworben, Chinesen, die ihre ideologischen Zwangsjacken abgelegt hatten und innerhalb einer kommunistischen Gesellschaft als Kapitalisten operierten. Das verhalf ihrer Nation zu Wohlstand und trug ihnen, wenn schon nicht den Respekt, so doch den lauen Dank ihrer politischen Herren ein, ähnlich etwa einem guten Schäferhund. Diese neue Generation von Industriellen arbeitete eng mit dem Finanzministerium zusammen und übte einen gewissen Einfluss auf die Bürokratie aus, die die Gewinne verwaltete, die sie in ihr Land brachten.
Ein Ergebnis dieser Entwicklung war, dass das Finanzministerium unaufhaltsam vom wahren marxistischen Glauben in das dämmrige Zwischenreich des sozialistischen Kapitalismus abdriftete. Genau genommen waren sogar alle Finanzminister, gleichgültig, wie groß ihr bisheriger religiöser Eifer gewesen sein mochte, mehr oder weniger stark vom Marxismus abgefallen, weil sie nach und nach eingesehen hatten, dass ihr Land nicht umhin konnte, sich auf diesem speziellen internationalen Spielplatz zu tummeln. Sie wussten, dass sie sich dafür an die dort geltenden Spielregeln halten mussten, wobei, nebenbei bemerkt, dieses Spiel der Volksrepublik sogar zu einem gewissen Wohlstand verhalf, was fünfzig Jahre zuvor Marx und Mao auf geradezu einzigartige Weise versäumt hatten.
Eine direkte Folge dieses unumkehrbaren Prozesses war, dass der Finanzminister kein vollwertiges Mitglied des Politbüros war. Er hatte keine Stimme, nur das Recht, seine Meinung zu äußern, und seine Ausführungen wurden von den Politbüromitgliedern beurteilt, die sich nie die Mühe gemacht hatten, diese Ausführungen oder die Welt, in der er sich bewegte, zu verstehen.
Der derzeitige Finanzminister hieß Qian, was passenderweise Münzen oder Geld bedeutete, und hatte sein Amt schon sechs Jahre inne. Ursprünglich Ingenieur, hatte er im Nordosten des Landes zwanzig Jahre lang Eisenbahnstrecken gebaut, und das so gut, dass er sich damit für den Aufstieg in die politische Hierarchie empfohlen hatte. Nach Meinung des Auslands bewältigte er seine ministeriellen Pflichten recht anständig. Aber oft fiel Qian Kun die Aufgabe zu, dem Politbüro klar zu machen, dass es nicht machen konnte, was es wollte, was wiederum zur Folge hatte, dass er dort meist so gern gesehen war wie eine Rattenplage. Auch heute würde es so sein, fürchtete er, auf der Fahrt zur Morgensitzung auf dem Rücksitz seines Dienstwagens sitzend.
Elf Stunden entfernt, in der New Yorker Park Avenue, fand eine andere Besprechung statt. Butterfly war der Name einer erfolgreichen Ladenkette von Bekleidungsgeschäften, zu deren Kunden vor allem wohlhabende Amerikanerinnen gehörten. Mit seinen von einem fantastischen jungen Designer aus Florenz entworfenen Modellen aus neuartigen Mikrofasern hatte sich Butterfly einen sechzigprozentigen Marktanteil errungen, was in Amerika ›Big Money‹ bedeutete.
Die Sache hatte nur einen Haken. Alle Butterfly-Stoffe wurden in der Volksrepublik produziert, in einer Fabrik am Rande der großen Hafenstadt Schanghai. Zugeschnitten und genäht wurden sie anschließend in einer anderen Fabrik in der
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