Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
irgendwie übersehen worden war, für ABM-Tests zu verwenden (jeden Monat überprüfte ein russischer Offizier die amerikanischen Abfangflugkörper in Vandenberg und ein amerikanischer zählte die russischen in Plesezk). Die ABM-Tests wurden ebenfalls überwacht, aber alle diesbezüglichen Bemühungen waren mittlerweile größtenteils theoretischer Natur. Sowohl Amerika als auch Russland hatten noch eine stattliche Anzahl an nuklearen Gefechtsköpfen. Sie konnten ohne weiteres auf Cruise Missiles angebracht werden, über die beide Seiten in relativ großer Zahl verfügten und die kein Land aufhalten konnte. Es mochte jetzt statt 34 Minuten vielleicht fünf Stunden dauern, aber hinterher wären die Ziele genauso tot.
Die Lenkwaffenabwehr geriet mehr und mehr zu einer Sache von Waffen wie den allgegenwärtigen SCUDs, die gebaut zu haben die Russen inzwischen sicher bitter bereuten. Nicht zu reden davon, sie auch noch an rückständige Länder verkauft zu haben, die nicht einmal eine einzige anständige Schützeninfanteriedivision abwehren konnten, aber nichts lieber taten, als bei ihren Paraden diese aufgemotzten ballistischen Ofenrohre der V-2-Klasse vorzuzeigen, weil sie für die Leute am Straßenrand höllisch eindrucksvoll aussahen. Doch die neuen, verbesserten Patriots und deren russische Pendants annullierten diese Bedrohung größtenteils und das Aegis-System der Navy war mit recht guten Ergebnissen gegen sie getestet worden. Wie die Patriots waren die Standard Missiles jedoch eigentlich Punkt-Verteidigungswaffen mit nur sehr geringer Streuwirkung, um ein vorgegebenes Areal abzudecken anstatt ein ganzes Seegebiet in der Größenordnung von etwa 20 Quadratseemeilen.
Alles in allem war es ein Jammer, dass sie das Stromzuführungsproblem bei seinem Free-Electron-Laser nie gelöst hatten. Die hätten ganze Küstenabschnitte verteidigen können, wenn … Und wenn seine Tante Eier hätte, dachte Gregory, wäre sie sein Onkel. Es war im Gespräch, eine umgebaute 747 mit einem chemischen Laser auszurüsten, so dass sie einen ballistischen Flugkörper in der Startphase wie nichts hätte zerlegen können. Doch dazu musste die 747 ziemlich nahe an die Abschussstelle herankommen, weshalb das auch wieder nur eine weitere taktische Abwehrmaßnahme war und von geringem strategischem Wert.
Das Aegis-System barg echte Möglichkeiten. Das SPY-Radarsystem war erstklassig, und obwohl der Computer, der die Informationen verarbeitete, eine Blüte der technischen Entwicklung von 1975 war – ein handelsüblicher Apple Macintosh hätte ihn in allen Leistungskriterien um mindestens Faktor drei geschlagen –, bedeutete das Abfangen eines ballistischen Gefechtskopfs weniger eine Frage der Rechnergeschwindigkeit als der kinetischen Energie – sprich: das Vernichtungsvehikel zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort zu bringen. Aber selbst das war keine technische Meisterleistung. Die eigentliche Vorarbeit war schon 1959 mit der Nike Zeus geleistet worden, die sich zur Spartan weiterentwickelt und Anlass zu großen Hoffnungen gegeben hatte, bevor sie im Zuge des Atomwaffensperrvertrags von 1972 mit der Sowjetunion eingemottet worden war. Nun, Tatsache war jedenfalls, dass die MIRV-Technologie das ganze Verteidigungskonzept zunichte gemacht hatte. Nein, man musste die ICBMs in der Startphase zerstören, um alle MIRVs auf einen Schlag zu vernichten, und man musste es über dem Territorium des Feindes tun, damit er, wenn er ein primitives Schutzsystem hatte, nur sein eigenes Gebiet verbrutzelte. Möglich wurde das dank des genialen Brilliant-Pebbles-Systems, das am Lawrence-Livermore National Laboratory entwickelt worden war, und obwohl diese Technologie nie in vollem Umfang getestet wurde, war sie sehr zuverlässig. Von einem Streichholz, das mit einer Geschwindigkeit von 23 000 Stundenkilometern durch die Luft sauste, getroffen zu werden, konnte einem auf jeden Fall den ganzen Tag verderben. Aber dazu würde es nie kommen. Das Bedürfnis, ein solches System zu finanzieren und einzurichten, war mitsamt den ballistischen Lenkwaffen gestorben. In gewisser Weise war das schade, fand Gregory. Solch ein System wäre eine echte technische Meisterleistung gewesen – allerdings gäbe es dafür heute kaum mehr praktische Anwendungsmöglichkeiten. Die Volksrepublik besaß noch immer ihre landgestützten ballistischen Lenkwaffen, aber insgesamt nur etwa zehn, und das war kein Vergleich mit den 1 500, welche die Sowjetunion einmal auf
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