Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
aufgewachsen – so bösartig wie die deutschen Nazis, nur dass die einen nicht fraßen – und hatte deshalb gelernt, sein Leben seinen Augen und seinen Instinkten anzuvertrauen. Das ließ sich durch nichts ersetzen, und diese Art von Ausbildung konnte man keiner ganzen Armee zuteil werden lassen. Pawel Petrowitsch hatte es nicht einfach gehabt. Soldaten mochten ihre eigenen Scharfschützen bewundern, sie wegen ihrer Fähigkeiten schätzen, aber man konnte einfach nicht ›Genosse‹ zu einem Mann sagen, der Menschen jagte, als wären sie Tiere – denn auf der anderen Seite der Linie befand sich vielleicht ein anderer Mann dieses Kalibers, der einen selbst jagen wollte. Von allen Feinden war das derjenige, den man am meisten verabscheute und fürchtete, weil es sehr persönlich wurde, wenn man einen anderen Mann im Zielfernrohr hatte, wenn man sein Gesicht sah und diesem Einzelnen mit einer gezielten Handlung das Leben nahm und sogar seinen Gesichtsausdruck beobachtete, wenn ihn die Kugel traf. Gogol war einer von denen gewesen, dachte Bondarenko, ein Jäger einzelner Männer. Und wahrscheinlich hatte er deshalb nicht eine schlaflose Minute gehabt. Manche Männer waren einfach dafür geboren, und Pawel Petrowitsch Gogol war einer von ihnen.
»Hätten Sie Lust, abends mal in mein Hauptquartier zu kommen? Ich würde Sie gern zum Abendessen einladen und mir ein paar Ihrer Geschichten anhören.«
»Wie weit ist es?«
»Ich lasse Sie mit meinem Hubschrauber abholen, Feldwebel Gogol.«
»Und ich bringe Ihnen einen vergoldeten Wolfspelz mit«, versprach der Jäger seinem Gast.
»Wir werden in meinem Hauptquartier einen Ehrenplatz dafür finden«, versicherte ihm Bondarenko seinerseits. »Vielen Dank für den Tee. Ich muss mich jetzt verabschieden, um mich um mein Kommando zu kümmern, aber Sie kommen auf jeden Fall zum Abendessen, Feldwebel Gogol.« Sie schüttelten sich die Hände, und der General verließ die Hütte.
»Den hätte ich nicht gern auf der anderen Seite der Front«, bemerkte Oberst Aliew, als sie in den Hubschrauber stiegen.
»Haben wir eine Scharfschützenschule im Kommandobereich?«
»Ja, General, aber das Ganze ist mehr oder weniger eingeschlafen.«
Bondarenko wandte sich ihm zu. »Dann leiern Sie es wieder an, Andruschka! Wir holen Gogol, damit er den Jungs beibringt, wie man so etwas macht. Er ist unbezahlbar. Männer wie er sind die Seele einer kämpfenden Armee. Unsere Aufgabe ist es, unsere Soldaten zu befehligen und ihnen zu sagen, wohin sie gehen und was sie tun sollen. Aber es sind die Männer, die das Kämpfen und Töten übernehmen, und unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie anständig ausgebildet und versorgt werden. Und wenn sie zu alt sind, lassen wir sie unseren Nachwuchs ausbilden, damit die Jungen Helden haben, die sie anfassen und mit denen sie sprechen können. Wie konnten wir das bloß jemals vergessen, Andrei?« Der General schüttelte den Kopf, und der Hubschrauber hob ab.
Zurück in seinem Hotelzimmer, ging Gregory ganze 300 Seiten mit technischen Daten durch. Dazu trank er eine Cola Light und aß seine Pommes. Irgendwo gab es einen Haken, aber er bekam nicht heraus, woran es genau lag. Die Navy hatte ihre Standard-2-ER-Missiles gegen alle möglichen Bedrohungen getestet, hauptsächlich im Computer, aber auf dem Kwajalein-Atoll auch gegen echte Ziele. Sie hatten dabei recht gut abgeschnitten, aber es hatte nie ein richtiger Test gegen einen ICBM-Wiedereintrittskörper stattgefunden. Dafür gab es einfach zu wenige davon. Hauptsächlich benutzten sie alte Interkontinentalraketen vom Typ Minuteman-II, die längst aus dem Verkehr gezogen waren und aus Testsilos auf der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien abgeschossen wurden. Aber die waren inzwischen fast alle aufgebraucht. Russland und Amerika hatten ihre sämtlichen ballistischen Waffen ausrangiert, hauptsächlich als Folge der von Terroristen ausgelösten Atomexplosion in Denver und der schrecklichen Nachwirkungen, die gerade noch hatten abgewendet werden können. Die Verhandlungen, aufgrund deren ihre Anzahl auf null reduziert werden sollte – die letzten waren öffentlich vernichtet worden, unmittelbar bevor die Japaner ihren hinterhältigen Angriff auf die Pazifikflotte gestartet hatten –, waren so schnell vonstatten gegangen, dass viele der unbedeutenderen Punkte kaum überdacht worden waren. Und erst später hatte man beschlossen, die ›übrig gebliebenen‹ Flugkörper, deren Vernichtung
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