Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Geheimdienstler leider das Cover eines japanischen Geschäftsmannes zu wahren gehabt, was ihm so gut gelungen war, dass ihn die Frauen auch als solchen ansahen. Und so hatte Nomuri ein ums andere Mal mit seinem Schicksal gehadert, war er doch wie so viele Amerikaner mit James-Bond-Filmen groß geworden. Nun, auf Feuerwaffen verstand er sich auch nicht so gut; er hatte seit seiner Zeit auf der Farm – dem CIA-Trainingslager an der Interstate 64 nahe Yorktown, Virginia – keine Pistole mehr in der Hand gehalten und auch damals nicht besonders gut schießen können.
Jetzt aber witterte Nomuri ein erotisches Abenteuer, und in seiner Dienstvorschrift stand nichts, was dies verboten hätte. Wär ja noch schöner, dachte er, ohne seine wie gewöhnlich neutrale Miene zu verziehen. Eroberungs- und Bettgeschichten waren immer Thema Nummer eins, wenn das Amt seine Agenten im Außendienst zu einer Zusammenkunft einlud, was zwar nicht oft vorkam, aber immerhin doch manchmal, meist auf der Farm. Der eigentliche Zweck dieser Treffen bestand darin, Erfahrungen und Nachrichten auszutauschen, aber nach den dienstlichen Besprechungen wurde es meistens lustig. Seit Chet Nomuri in Peking war, beschränkte sich sein Sexleben auf Besuche von Pornoseiten im Internet. Der asiatische Kulturraum hatte in dieser Hinsicht erstaunlich viel zu bieten, und obwohl Nomuri nicht gerade stolz auf diese Exkursionen war, musste er sich doch irgendwie Entspannung verschaffen.
Mit entsprechender Nachhilfe könnte Ming recht hübsch sein, dachte Nomuri. Als Erstes müsste sie sich die Haare lang wachsen lassen. Vielleicht war auch ein anderes Brillengestell zu empfehlen. Ihr jetziges hatte den Reiz von recyceltem Stacheldraht. Und dann Make-up. Welches das richtige sein würde, wusste Nomuri nicht. Von diesen Dingen hatte er keine Ahnung. Ein bisschen kosmetisch aufgefrischt, könnte ihre Haut wie Elfenbein anmuten. Doch abgesehen von Bühnendarstellern (deren Schminke so dezent war wie die Leuchtreklame in Las Vegas), war für die meisten Chinesen mit der morgendlichen Reinigung das Kapitel Schönheitspflege abgehandelt. Ihre Augen haben etwas Besonderes, fand er. Sie waren strahlend und … gewitzt. Es steckte Leben darin oder dahinter, wie auch immer. Vielleicht hatte sie auch eine ansprechende Figur, was aber bei der Kleidung, die sie trug, nicht zu erkennen war.
»Das neue System funktioniert also gut?«, fragte er, nachdem beide am grünen Tee genippt hatten.
»Fantastisch«, antwortete sie fast überschwänglich. »Die Zeichen sind wirklich gestochen scharf, wie von einem Kalligraphen geschrieben.«
»Was hält Ihr Minister davon?«
»Oh, er ist auch sehr angetan. Ich schreibe jetzt schneller, und das gefällt ihm natürlich«, erklärte sie.
»Gefällt es ihm gut genug, um eine Bestellung aufzugeben?«, fragte Nomuri, ganz in seiner Rolle als Handelsvertreter.
»Das ist Sache des Verwaltungschefs, aber ich glaube, Sie werden sich über seine Entscheidung freuen.«
Freuen wird sich NEC , dachte der CIA-Agent und versuchte zu überschlagen, wie viel Geld er dem Unternehmen durch seine Tarnung einbrachte. Sein Boss in Tokio würde an seinem Reiswein ersticken, wenn er erführe, für wen Nomuri tatsächlich arbeitete, aber er, Nomuri, verdankte jede Beförderung bei NEC einzig und allein seinen Verkaufserfolgen, die er trotz der Nebenbeschäftigung für sein Land erzielen konnte. Ein glücklicher Zufall, dachte Chet, dass sich sein eigentlicher Beruf und der Cover-Job so wunderbar ergänzten. Günstig auch, dass er in einem traditionsbewussten Elternhaus zweisprachig aufgewachsen war, obgleich für ihn nie Zweifel über seine nationale Zugehörigkeit bestanden hatten. Vielleicht war ihm diese Sicherheit durch seinen Großvater vermittelt worden, der die Bürgerrechte auf die denkbar beste und ehrenvollste Weise erworben hatte, nämlich als Infantrist des in Italien und Südfrankreich eingesetzten 442 nd Regimental Combat Team. Mit vielen Orden und Medaillen für seine Tapferkeit ausgezeichnet, war er nach dem Krieg nach Hause zurückgekehrt, wo er seine Arbeit als Landschaftsgärtner wieder aufnahm. Dazu bildete er auch seine Söhne aus. Auf das Beispiel dieses Großvaters glaubte Chet sein Pflichtgefühl dem Land gegenüber zurückführen zu können. Und dieses Pflichtgefühl konnte mitunter sogar vergnüglich sein.
So wie jetzt, dachte Nomuri und schaute Ming tief in die dunklen Augen. Was mochte in ihrem Gehirn wohl vorgehen? Sie hatte
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