Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
während der Doktor seine Untersuchung fortsetzt, sollten wir uns mal die Klamotten ansehen.«
Und das taten sie. Eine halbe Stunde später wussten sie, dass die beiden recht teure Kleidung getragen hatten, die aber keinerlei Hinweise auf ihre Träger enthielten, was in solchen Fällen beileibe nicht ungewöhnlich war, aber die Arbeit der Polizei doch um einiges erleichtert hätte. Keine Brieftasche, keine Ausweise, keine Banknote, Schlüssel oder Krawattennadel. Nun, vielleicht konnten die Label der Kleidungsstücke Aufschluss bringen, und die Fingerkuppen waren noch intakt, so dass sich ein Abdruck nehmen und womöglich identifizieren ließe. Wer den Mord begangen hatte, war clever genug gewesen, zu vertuschen, aber nicht clever genug, um der Polizei alles vorzuenthalten.
Was hat das zu bedeuten?, fragte sich der ältere Inspektor. Wer sich den Ermittlungen zu entziehen versuchte, ließ seine Opfer auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Wo keine Leiche war, wurde auch kein Mörder gesucht. Eine als vermisst gemeldete Person mochte mit einer anderen Frau oder einem anderen Mann durchgebrannt sein oder einfach nur beschlossen haben, irgendwo anders ein neues Leben zu beginnen. Eine Leiche spurlos verschwinden zu lassen war nicht übermäßig schwierig, wenn man sich über das Wie ein paar kluge Gedanken machte. Die meisten Morde wurden allerdings nicht von langer Hand geplant, und die meisten Mörder waren Dummköpfe, die häufig allein schon deshalb aufflogen, weil sie den Mund nicht halten konnten.
Nicht so in diesem Fall. Wenn dieser Doppelmord einen sexuellen Hintergrund gehabt hätte, wäre ihm davon schon etwas zu Ohren gekommen. In der Regel wurden solche Verbrechen nämlich regelrecht angemeldet, und zwar durch die Täter selbst, die den perversen Wunsch zu haben schienen, nur ja erwischt und verurteilt zu werden, und mit dieser Hoffnung geradezu hausieren gingen.
Nein, hier deutete alles auf die Tat von Profis hin. Beide Opfer waren auf dieselbe Weise umgebracht und erst dann mit Handschellen gefesselt worden ... vielleicht, um die Tat möglichst lange im Verborgenen zu halten. Kampfspuren waren nicht zu entdecken, und beide Männer waren offensichtlich kräftig, durchtrainiert und gefährlich gewesen. Man hatte sie überrumpelt, woraus sich folgern ließ, dass sie ihre Mörder gut kannten und ihnen vertrauten. Diese Vertrauensseligkeit unter Kriminellen war für beide Polizisten ein immerwährendes Rätsel. ›Loyalität‹ war ein Wort, das sie kaum buchstabieren, geschweige denn als Prinzip gelten lassen konnten, und doch war sie für viele schwere Jungs anscheinend mehr als ein Lippenbekenntnis.
Vor den Augen der Inspektoren entnahm der Pathologe beiden Leichen eine Blutprobe für eine toxikologische Analyse. Vielleicht hatte man ihnen vor der Hinrichtung irgendein Mittel verabreicht. Das war zwar nicht wahrscheinlich, aber immerhin möglich, weshalb es untersucht werden musste. Von allen 20 Fingernägeln wurden Abstriche genommen, obwohl auch die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht weiterführen würden. Mehr Aufschluss versprach die Abnahme der Fingerabdrücke, auch wenn auf ein Ergebnis lange zu warten sein würde. Die zuständige Abteilung war bekanntermaßen schrecklich ineffizient. Die beiden Inspektoren würden versuchen, die Leichen durch eigene Recherchen schneller zu identifizieren.
»Die Typen würde ich nicht gern zum Feind haben. Wie siehst du das, Jewgeni?«
»Bin ganz deiner Meinung, Anatoli«, antwortete der Ältere. »Aber einer hat keine Angst vor ihnen gehabt – oder aber so sehr, dass er gleich Nägel mit Köpfen gemacht hat.« Beide Inspektoren waren an einfache Fälle gewöhnt, an Täter, die geständig waren oder ihre Tat vor Dutzend Augenzeugen begangen hatten. Dieser Fall würde sie voll in Anspruch nehmen und nicht zuletzt auch personelle Verstärkung nötig machen.
Sie sahen zu, wie die Gesichter fotografiert wurden, doch die waren so aufgedunsen und unkenntlich, dass die Fotos zur Identifizierung wenig taugen würden. Aber diese Aufnahmen gehörten zur Prozedur; erst wenn sie gemacht waren, durfte eine Leiche geöffnet werden, und Dr. Koniew arbeitete stets streng nach Vorschrift. Die Polizisten zogen sich in ein etwas gemütlicheres Zimmer zurück, riefen in ihrer Dienststelle an und rauchten. Als sie in die Anatomie zurückkehrten, steckten beide Geschosse bereits in kleinen Plastikbehältern, und Koniew berichtete, dass er den Getöteten die Kugeln aus dem Gehirn
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