Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
ihre Laptops mitgebracht und viele hatten über Funktelefone einen Internetzugang. Aus der Vogelperspektive betrachtet, konnte man sie daran erkennen, dass sich um sie herum kleine Menschentrauben bildeten. Kurz darauf kamen die Anführer zusammen und redeten schnell aufeinander ein. Sie wussten, dass sie etwas tun mussten, allerdings hatten sie keine genaue Vorstellung davon, was. Immerhin war es gut möglich, dass sie alle dem Tod ins Auge blickten.
Die Stimmung wurde noch von den Kommentatoren angeheizt, die CNN hastig in ihre Studios in Atlanta und New York gerufen hatte und von denen viele der Ansicht waren, dass ein angemessener Vergeltungsschlag die einzig richtige Erwiderung auf den chinesischen Übergriff sei. Und als der Reporter, der auch als Moderator fungierte, fragte, was genau ›angemessen‹ denn bedeute, war die Antwort absehbar.
Für die Studenten ging es weniger um Leben und Tod als darum, ihre Nation vor dem Untergang zu retten – jene 1 300 Millionen , deren Leben durch die Tat eines Wahnsinnigen aus dem Politbüro verwirkt worden war. Das Gebäude des Ministerrats war nicht allzu weit entfernt, und die Menge setzte sich in diese Richtung in Bewegung.
Mittlerweile war auch die Polizei auf dem Platz des Himmlischen Friedens präsent. Die Frühschicht hatte die Nachtschicht abgelöst, sah sich dieser Menge junger Leute gegenüber – und war ziemlich überrascht, denn sie waren beim Schichtwechsel nicht darüber informiert worden. Die Männer, die ihren Dienst beendeten, hatten erklärt, dass nichts Rechtswidriges vorgefallen sei, und soweit sie wüssten, handele es sich um eine spontane Solidaritätskundgebung mit den tapferen Soldaten der Volksbefreiungsarmee in Sibirien. Aber es hätte vermutlich sowieso nichts mehr geändert. Die Studenten schlossen sich zusammen und marschierten mit bemerkenswerter Disziplin zum Regierungssitz ihres Landes. Als sie näher kamen, sahen sie die bewaffneten Wachen. Doch die Polizeibeamten hatten eine solche Menge an Menschen nicht erwartet. Der Dienstälteste, ein Hauptmann, ging allein hinaus und fragte, wer für den Aufmarsch verantwortlich sei. Er wurde von einem 21-jährigen Maschinenbaustudenten zur Seite geschoben.
Einmal mehr war ein Polizeibeamter nicht darauf vorbereitet, dass seine Worte missachtet wurden, und er reagierte völlig überrascht. Er sah plötzlich nur noch den Rücken des jungen Mannes, der eigentlich sofort hätte stehen bleiben müssen, als er dazu aufgefordert wurde. Der Sicherheitspolizist war tatsächlich davon ausgegangen, dass die gesamte Menge der Studenten auf sein Kommando hin stehen blieb. So groß war die Macht des Gesetzes in der Volksrepublik – doch sie war nicht nur groß, sondern im Zweifelsfall auch zerbrechlich. Es befanden sich noch weitere 40 bewaffnete Wachen in dem Gebäude, alle im ersten Stock auf der Rückseite. Sie hatten die Order, sich im Hintergrund zu halten, weil die Minister keine bewaffneten Bauern zu Gesicht bekommen wollten. Und so wurden die vier Beamten, die am Eingang Dienst taten, einfach beiseite geschoben, als die Menge durch die Tore drängte. Sie zogen ihre Pistolen, aber nur einer von ihnen schoss und verwundete drei Studenten, bevor er niedergerissen und bewusstlos geschlagen wurde. Die anderen drei liefen zum Hauptposten, um die Reservekräfte zu mobilisieren. Als sie dort ankamen, stürmten die Studenten bereits die breite Treppe zum zweiten Stock hinauf.
Der Versammlungsraum war schalldicht, eine Sicherheitsmaßnahme, damit das Mithören verhindert wurde. Aber Schallschutz funktioniert in beide Richtungen, und so hörten die am runden Tisch sitzenden Männer nichts, bis sich der Flur in nur 50 Meter Entfernung mit Studenten füllte. Und selbst in dem Moment drehten sich die Minister lediglich verärgert um …
Die bewaffneten Wachen zogen in zwei Gruppen auf. Eine lief in das erste Stockwerk an der Vorderseite des Gebäudes, die andere kam zur Rückseite des zweiten Stocks. Sie wurde von einem Major angeführt, der die Minister evakuieren wollte. Alles geschah plötzlich viel zu schnell und praktisch ohne jede Vorwarnung. Wie sich zeigte, lief die Wachgruppe im ersten Stock geradewegs in die Masse der Studenten hinein, und obwohl der Hauptmann 20 mit automatischen Gewehren bewaffnete Männer befehligte, zögerte er doch, das Feuer zu eröffnen, denn es waren mehr Studenten da, als er Patronen in den Magazinen für ihre Waffen hatte. Dieser Moment des Zögerns kostete ihn die
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