Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Jackett ablegen konnte. Stattdessen hatte er immerhin die Schuhe ausgezogen, dann aber Probleme gehabt, sie wieder anzuziehen, weil vom langen Sitzen seine Füße angeschwollen waren. Was ihn zu einem deutlich vernehmlichen Seufzen veranlasste. Als die Maschine vor dem Terminal angelangt war, half ihm ein Steward nach vorn zum Ausgang, den er als erster der Fluggäste passieren durfte. Das war vorteilhaft an seinem Status: Wo immer er mit seinem Diplomatenpass winkte, war bald ein freundlicher Mensch zu Stelle, um sich um ihn zu kümmern. Im aktuellen Fall war dies ein chinesischer Regierungsbeamter.
»Willkommen in unserem Land«, grüßte der Beamte und streckte die Hand aus.
»Es ist mir ein Vergnügen, hier zu sein«, antwortete der Kardinal und registrierte, dass sein Gegenüber davon absah, seinen Ring zu küssen, wie es eigentlich dem Protokoll entsprach. Nun ja, Christentum im Allgemeinen und der Katholizismus im Besonderen waren in China schließlich nicht gerade gern gesehen. Aber wenn die Volksrepublik Wert darauf legte, der zivilisierten Welt zugerechnet zu werden, hatte sie die Vertretung des Heiligen Stuhles zu achten. Punkt. Immerhin musste er mit diesen Leuten zusammenarbeiten, und – wer weiß? – vielleicht gelang es ihm sogar, den einen oder die andere zu bekehren. Es waren schon noch größere Wunder geschehen und die römischkatholische Kirche hatte es in ihrer Geschichte schon mit ärgeren Feinden zu tun gehabt.
Von Leibwächtern begleitet, führte der Beamte den hohen Gast durch die Ankunftshalle des Flughafens und nach draußen, wo eine Staatskarosse und eine Eskorte bereitstanden.
»Wie war der Flug?«, erkundigte sich der Beamte.
»Lang, aber nicht unangenehm«, war die Antwort, wie nicht anders erwartet. Diplomaten mussten so tun, als flögen sie für ihr Leben gern, dabei fanden selbst die Crewmitglieder einen so langen Flug schrecklich ermüdend. DiMilo war gekommen, um sich ein Bild von der Arbeit des neuen Botschafters in der vatikanischen Vertretung zu machen, um zu sehen, was er für einen Eindruck machte und wie er sich in der fremden Umgebung zurechtfand. Damit hatte jeder anfangs Schwierigkeiten. Hier in Peking war nämlich alles anders: die Architektur, die Farbe der Ziegelsteine, selbst das Mauerwerk als solches, von nahem betrachtet oder aus der Distanz – einfach alles. Und besonders faszinierend war das, was im Prinzip überall gleich war und erst im Kontext der Fremde zahllose feine Unterschiede offenbarte.
Die Fahrt zur Botschaft beziehungsweise Residenz dauerte genau 28 Minuten. Es handelte sich um ein altes Gebäude, gebaut um die Wende zum 20. Jahrhundert und ursprünglich das prächtige Wohnhaus eines methodistischen Missionars aus Amerika, der offenbar seinen Komfort geliebt hatte. In der Folgezeit hatte es den verschiedensten Zwecken gedient und war sogar, wie der Regierungsbeamte wusste, in den 20er und 30er Jahren Bordell speziell für Diplomaten gewesen, denn auch Diplomaten hatten es gern komfortabel – und nobel: Es hieß, dass die Dirnen vorwiegend aus chinesischen und russischen Adelskreisen stammten. Auch das wusste der Beamte, nämlich von den Historikern im Ministerium, die solche Dinge archivierten. Nicht aufgezeichnet waren hingegen die Vorlieben des Vorsitzenden Mao. Doch im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten war sehr wohl bekannt, dass er zeit seines Lebens Gefallen daran gefunden hatte, zwölfjährige Mädchen zu deflorieren. Der junge Beamte wusste, dass hohe Staatsmänner aller Nationalitäten irgendwelche absonderlichen und abgeschmackten Vorlieben hatten. Da machte kaum einer eine Ausnahme.
Die Limousine hielt vor dem alten Fachwerkhaus an, wo ein uniformierter Polizist dem Gast aus Italien den Verschlag öffnete und tatsächlich auch noch salutierte. DiMilo senkte huldvoll den mit einem rubinroten Scheitelkäppchen bedeckten Kopf.
Auf der Veranda wartete ein anderer Ausländer, Monsignore Franz Schepke, der Stellvertreter des Botschafters, also derjenige, der normalerweise die eigentliche Arbeit tat, während der Botschafter, den meist politische Gründe auf diesen Posten gebracht hatten, in seinem Büro saß und Däumchen drehte. Ob dies auch hier der Fall war, musste sich erst noch erweisen.
Dass Schepke deutscher Abstammung war, stand ihm im Gesicht geschrieben. Er war groß und hager, hatte graublaue Augen, die nichts preisgaben, und war ein enormes Sprachtalent. So beherrschte er nicht nur die chinesische Sprache,
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