Im Zeichen des großen Bären
Grunde ihm, Arthur Shenessy, Bärenhasser und Autor okkulter Schriften, diesen Verpflegungssegen verdankten.
Er ließ sich von Rockwell ein Päckchen Datteln schenken.
»Als Trost, daß wir wieder einen stinkenden Bären haben«, sagte William zu ihm.
Nachdenklich schob er das klebrige Päckchen in die Tasche.
Hatte der Feind etwas gemerkt? War etwas zu ihm hinübergedrungen von der Ausgelassenheit und Sorglosigkeit der Männer der 3. Kompanie des 159. Infanterieregiments von Ontario? Oder war es bereits beschlossene Sache gewesen?
Gegen Morgen, rund vierzehn Stunden vor der geplanten Ablösung, als Männer der Nachrücker bereits eintrafen, um Gräben zu verbreitern, die Unterstände zu sichten, sich als die neuen Besen aufzuführen, die sie ja noch waren, griffen die Deutschen an. Erbittert. Im großen Stil.
Der Moment war gut gewählt für die Gegner. Verwirrung herrschte, ordnete sich dann doch zur Routine. Alle nahmen ihre Plätze ein, nur der Bär nicht. Er verließ sein Gatter, suchte im Graben Schutz. Da krachte es entsetzlich. Eine Flügelmine hatte einen Volltreffer erzielt.
Shenessy hatte den Bären noch kommen sehen. Er dachte flüchtig an dessen Rachegefühle, aber dann überdeckte die Angst vor dem Beschuß und dem möglichen Angriff der Deutschen alles andere. Es wurde zurückgeballert. Die Artillerie hatte klargemacht und schoß sich ein. Leuchtraketen schwebten am Himmel. Flugzeuge brummten. Menschen schrien, röchelten, beteten. Ein Inferno herrschte am Himmel und auf Erden.
Im Endeffekt blieb alles beim alten. Es hatte viele Tote gegeben. Micklewhite war von einem Schrapnell buchstäblich zerrissen worden. Smith I lebte mit aufgerissener Bauchdecke nur noch wenige Minuten. Sanitäter brachten Schwerverletzte auf Tragen nach hinten. Kameraden verbanden kleinere Wunden.
Wo war Powell? Wo war Shenessy?
Der Bär? Ja, der Bär war im Graben und buddelte wie verrückt in einer Erdaufschüttung, einem Stück eingestürzter Grabenwand.
Rockwell war unverletzt. Er sandte ein Dankgebet zum lieben Gott hinauf. Sein Puls flog noch, das Herz hämmerte wild, aber schon gingen die Überlebenden zur Tagesordnung über.
Was machte der Bär? Warum buddelte er wie verrückt?
»Hierher!« brüllte William Rockwell. Er hatte ein Bein gesehen.
Jetzt kamen die Kameraden. Eine Schaufel wurde im Handumdrehen herbeigebracht, noch eine. Gegraben wurde, ohne Rücksicht auf den aufgebrachten Bären, der sich auch kaum ablenken ließ.
Sie fanden Powell und Shenessy. Beide waren unverletzt. Shenessy war ohnmächtig, Powell schlug fast sofort die Augen auf, nacktes Entsetzen im Blick. Die Rettung war sehr schnell gegangen, dank der Aufmerksamkeit des Bären, der jetzt nicht wegzubringen war von Shenessy. Wieso denn das? Ausgerechnet von Shenessy, der ihn doch gar nicht mochte?
Beim Abtasten fand Rockwell das Geheimnis, doch hütete er sich, etwas davon zu verraten. In Shenessys Tasche steckte das wohlriechende Päckchen Datteln, und William hatte dem Bären nichts mehr davon gegeben. Er wollte sie als Mittel einsetzen, das Tier gefügig zu stimmen, eventuell zu belohnen. Längst hatte er versucht, einfache Dressurübungen mit dem Bären anzustellen. Da waren Belohnungen unerläßlich, das hatte auch Webbs ihm bestätigt. Er warf die Datteln hin. Der Bär war beschäftigt.
Webbs! Wo war Webbs?
Er hatte den ›Heimatschuß‹. Ein Arm war am Ellbogengelenk abgerissen worden. Sie hatten ihn schon ›nach hinten‹ gebracht. William sah seinen Freund nicht mehr. Sie hatten nicht einmal Adressen getauscht. Später werde ich mich nach ihm erkundigen, tröstete William sich selber.
Die Überlebenden sammelten sich dankbar. Alles in allem war es ein Wunder, daß etliche diesen mörderischen Angriff überstanden hatten. Ganz gewiß ein Wunder war die Errettung Powells und Shenessys.
Am nächsten Abend erfolgte die ersehnte Zurückverlegung der 3. Kompanie. Powell hatte stramm telefonische Meldung über das Lebensmitteldepot gemacht sowie die Wundertaten des Bären dick herausgestrichen. Oberst Perkins war beeindruckt.
So traten am 5. Juni 1918 die Männer der 3. Kompanie im Karree an. Sie hatten ihre Uniformen inzwischen etwas aufgefrischt und trugen ihre Tellermützen und geputzte Stiefel.
Der Oberst trat aus seiner Galabaracke. Die Männer nahmen Haltung an, und Oberleutnant Powell schrie mit hoher Stimme weitere Befehle.
›Luckie‹ Perkins ließ den Blick über die Soldaten schweifen und blinzelte ein wenig. Er
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