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Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Rockwell setzte seine Muskelkraft ein, um den Hochgeehrten zu halten, dem es jetzt wirklich etwas zu bunt wurde.
    Der kleine Monday, eine Art Dauerfaktotum der Etappe, wieselte heran und baute ein Fotostativ auf. Die Soldaten rückten zusammen und präsentierten das Gewehr.
    William Rockwell hielt nun den Augenblick für gekommen, den Clou seiner Bärenerziehung vorzuführen. Er hatte geprobt und geprobt und viele Süßigkeiten dafür verbraucht. »Blamier mich nicht, Kitchener!« flüsterte er flehend. Das war so schwierig mit einem Bären: daß man an seinem Mienenspiel gar nichts erkennen konnte. Überhaupt nichts.
    Kitchener machte ein Gesicht wie alle Tage. Hunde zogen die Oberlippe von den Zähnen, wenn sie wütend waren, Katzen sträubten die Nackenhaare, Gänseriche breiteten wild die Flügel aus. Ob Mimik oder Gebärdensprache, die meisten Tiere drückten sich unmißverständlich aus, besonders, wenn sie angreifen wollten. Aber ein Bär tat gar nichts. Sah aus wie immer und zog einem plötzlich eins mit der Tatze über. Bei Bären mußte man als Mensch eine Art sechsten Sinn entwickeln. Deshalb, hatte Webbs gesagt, seien sie auch keineswegs leicht zu dressieren, und die drolligen Zirkusnummern mit Petz im Anzug, auf einem Rad strampelnd, seien Schwerstarbeit für den Dompteur.
    Rockwell winkte einem eingeweihten Kameraden zu, der trat vor und überreichte ihm mit ausgestrecktem Arm einen Stahlhelm. William gab herzklopfend sein Kommando. Und während der kleine Monday hinter seinem Fotoapparat unter einem schwarzen Tuch verschwand, richtete Kitchener sich auf den Hinterbeinen steil auf und hielt die Tatzen hoch wie ein Wappentier.
    Monday schlüpfte unter seinem schwarzen Tuch hervor, ergriff die Verschlußkappe des Objektivs und krähte: »Achtung! Zwanzig … einundzwanzig … danke!« Er hatte die Kappe abgenommen und wieder aufgesetzt. Das Bild war im Kasten. Ein Jahrhundertbild! Lauter gestählte Gestalten mit törichtem Grinsen oder tiefer Ergriffenheit auf dem Gesicht. William Rockwell, mit aufgerissenen Augen, ausgesprochen bänglich wirkend, aber auch stolz. Und Kitchener! Auf den Hinterbeinen, offenbar leutselig winkend und mit einem flachen Stahlhelm schief auf dem Kopf!
    Auf dem Foto konnte man zum Glück nicht sehen, daß der Bär die Kopfbedeckung gleich darauf abgeschüttelt und ungeduldig an der Kette gezerrt hatte, woraufhin William ihm eilends die Datteln hinwarf, über die er sich knatschend, spuckend und konzentriert hermachte.
    Der Oberst ließ noch nicht wegtreten. Er erhob noch einmal die Stimme, um mitzuteilen, daß der Bär Kitchener hiermit in den Rang eines Gefreiten erhoben sei. Und sein Bärenführer William Rockwell werde mit sofortiger Wirkung zum Unteroffizier befördert. Er habe damit zwar eine Stufe übersprungen, doch müsse ein gewisses Gefälle von Bärenführer zu Maskottchen gewahrt bleiben.
    William nahm Haltung an. Er machte ein ernstes Gesicht. Unteroffizier, das war immerhin etwas für einen Berufssoldaten, der später ausscheiden wollte aus dem Militärdienst, um eine Biberfarm aufzumachen.
    William Rockwell gestattete sich zur Zeit möglichst wenig Träume. Es waren ohnehin Träume der bedrückendsten Sorte. Jenny, seine süße, zierliche, zärtliche Frau. Konnte es denn wirklich sein, daß sie ihn vergessen hatte, betrog und verließ? Ja, im Stich ließ?
    Jedes Mal beim Postempfang, der nun wieder etwas regelmäßiger erfolgte, weil eine leichte Beruhigung der Kampfhandlungen eingetreten war, klopfte Williams Herz wie wild. Kameraden kamen und lasen ihm schmunzelnd Passagen aus ihren soeben erhaltenen Briefen vor. Frauen und Kinder in der Heimat erkundigten sich nämlich inzwischen angelegentlich nach dem Bären, nach seinem Befinden, und was er so mache? William lächelte trübe. Wie nett! Nur leider nicht für ihn.
    Eines Tages jedoch wurde sein Name aufgerufen.
    »Unteroffizier Rockwell! Hier ist Post für den Gefreiten Rockwell. Soll ich sie trotzdem aushändigen?«
    Am liebsten hätte William seinem scherzenden Kameraden den Brief aus der Hand gerissen. Mühsam beherrschte er sich. Aber dann sah er die Schrift. Die etwas steilen Buchstaben, die Jimmy malte. Sein Herz krampfte sich zusammen. Das Blut zog sich aus seinem Gehirn zurück. Er wankte. Schlachten, Todesgefahr, daran konnte ein Mann sich gewöhnen. Aber dies … Er riß das Kuvert auf.
    »Lieber Dad, ich schreibe heute, weil Mom nicht schreiben kann. Sie liegt noch im Krankenhaus. In der Christina

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