Im Zeichen des großen Bären
ist.«
»Powell hat riesige Ländereien am Ontario-See, soweit ich weiß. Vielleicht kann er einen kleinen Privatzoo aufmachen?«
»Wieso denn Powell? Schließlich ist Kitchener mein Bär«, protestierte William Rockwell.
Henry Wood lachte. »William, so ein Quatsch. Der Bär gehört dem gesamten 159. Infanterieregiment von Ontario, und das sind immer noch, wenn ich mich nicht irre, fast tausend Mann. Nur unter dieser Bedingung darf Kitchener doch hier sein feudales Leben im eigenen Zwinger mit Auslauf und erstklassiger Verpflegung führen.«
»Hast schon recht. Aber trotzdem … Wenn es erst soweit ist mit dem Frieden …«
Noch war der Kampfgeist der Deutschen nicht gebrochen. Ein letztes Mal rafften sie sich zum fanatischen Angriff auf. Wenige Stunden nach diesem Gespräch duckte sich die Front noch einmal zusammen, preßten sich Leiber an schweflige Erde. Die Deutschen trommelten, trommelten heraus, was sie hatten. Die Kaiserschlacht 1918 hatte begonnen. Es war der letzte Sturm verzweifelter Herzen, untergehender Heere, zerbrochener Ideale und vergangener Träume.
Drei Wochen lang bebte die Erde. Unentwegt, ungeheuerlich, titanisch. Wenn eine Feuerpause eintrat, rafften sich die erdfahlen Männer auf. Sie krochen aus ihren Löchern hervor, sie schälten sich aus eingeknickten Unterständen und qualmenden Trichtern. Sie drückten den Kolben ans Kinn und feuerten.
Noch einmal, zum letzten Mal in diesem Krieg, hielt die Welt den Atem an. Die Rotationsmaschinen der Zeitungen in allen Ländern stampften und spien Nachrichten für die wartenden Menschen aus. ›Die Front trommelt.‹ ›Im Westen nichts Neues.‹ ›Die Linien werden gehalten.‹ ›Die Siegfried-Linie wankt.‹ ›Sie steht!‹ ›Sie wankt!‹ ›Sie steht!‹ Die Jugend verblutete. Die Menschen zu Hause warteten und litten und sehnten sich.
Auch die Baracke der 3. Kompanie blieb nicht verschont. Viele Männer starben noch so kurz vor dem Finale. Es orgelte heran, klang dumpf, dann hohl und voll. Man gewöhnte sich fast an alles. Die Deutschen setzten auch wieder Giftgas ein, hieß es. Keiner durfte mehr ohne Gasmaske sein. Nur Kitchener widerstand Dressurversuchen in dieser Richtung energisch. Er war nun ja ein Kriegsveteran. Seine Bärenruhe war wie ein Orakel für die Männer: Es würde letztlich gut ausgehen. Überall an der Front am Kanal hieß es: Kitchener ist auf dem Posten. Also geht's uns auch noch gut.
So nahte der entscheidende November 1918. Der Monat, in dem die Welt aufatmen durfte und sich erlöst fühlen von der eisernen Klammer des Krieges.
Die Foch-Offensive drängte die deutschen Stellungen zurück. In Deutschland eiferten die Revolutionäre. Redner riefen von Denkmälern und Fässern aus ihre Parolen. Die Menschen hatten alles gegeben und waren nur noch erschöpft. Die ausgeblutete Front brach zusammen.
Die Menschen knieten nieder und falteten die Hände: Herr, laß endlich Frieden sein. Vergib uns unsere Schuld. Ein Zittern lief durch die Lande. Das Ganze halt!
Das Ganze halt – endlich! Glocken läuteten. Orgeln dröhnten. Die Menschen eilten zu Dankgottesdiensten. Und alle, die ihre Liebsten verloren hatten, weinten haltlos oder schwiegen verbittert. Das Leben ging weiter. Für manche Frau aber war es bereits zu Ende. Junge Mädchen hielten das Bild ihres Verlobten in den Händen und ahnten, daß sie alte Jungfern waren, ohne je wirklich gelebt zu haben. Mütter ballten die Fäuste und planten das Überleben im Frieden für sich und die Kinder.
Am 11. November 1918 wurde im Wald von Compiègne der Waffenstillstand unterzeichnet. Im Salonwagen des Marschalls Foch unterzeichneten Generalissimus Foch und Matthias Erzberger im Namen ihrer Völker Wilsons Vierzehn Punkte: Räumung der besetzten Westgebiete und des linken Rheinufers, Aufhebung der Bestimmungen der Friedensschlüsse von Brest-Litowsk und Bukarest, Auslieferung des schweren Kriegsmaterials und der U-Boote, die der Stolz des deutschen Kaisers gewesen waren. Aufbauleistungen in den besetzten Gebieten standen auf dem Programm.
Wenn es auch Sieger gab, so hatten im Grunde doch alle verloren. Innenpolitische Krisen hatten überall stattgefunden. In Großbritannien wurde der Sturz der liberalen Regierung durch Bildung eines straff organisierten Kriegskabinetts aufgefangen, Meutereien in Frankreich hatte Clemenceau mit seinem Kabinett bekämpft. Im österreichisch-ungarischen Parlament begehrten die Tschechen und Südslawen auf – Kaiser Franz Joseph, der
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