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Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihr her. Ein Teufel namens Jim.
    Dann wurde ihr klar, daß sie erstaunte Blicke erntete. Niemand tat ihr etwas. Ein junger Mann hatte sie geküßt. Wenn sie ihn dazu herausgefordert hatte, so doch bestimmt ohne Absicht. Also, was war im Grunde passiert? Gar nichts. Gar nichts – außer diesem sonderbaren Ziehen in den Gliedern und im Bauch, diesem irren Herzklopfen, der beunruhigenden Schwäche in den Knien, die sicher nicht nur vom Rennen kam. Bei François hatte sie diese Symptome jedenfalls nicht gehabt.
    Alice zog sich in ihre Kabine zurück und blickte durch das runde Fenster hinaus auf die gleichmäßig brodelnde See. Ich bin jung. Das Leben ist aufregend. Es gibt vieles, das man auch im besten Internat nicht lernt. Ich werde ins Bett gehen und noch ein bißchen lesen. Das Leben ist schön!
    Aber nachts erwachte sie mit einem unbekannten, ängstlichen Gefühl. Das Schiff neigte sich jetzt leicht von einer Seite auf die andere. Draußen war es dunkel. So fremd und fern von jeder Bindung hatte Alice Kellenhusen ihr Dasein noch nie empfunden. Ob es ihrer Mama wohl manchmal so ergangen war? Im Wohnwagen zwischen zwei fremden Orten unterwegs, von unbekannten Leuten zu anderen Unbekannten? Aber sie hatte ja meinen Vater, dachte Alice. Ihren Mann, der sie beschützte und zärtlich liebte. Dem zuliebe sie alles im Stich gelassen hatte, sogar ihr Elternhaus. Oh, sie muß ihn sehr geliebt haben. Unendliche Sehnsucht erfüllt jetzt deine Tochter, Mama! Ich sehne mich nach einer großen Liebe. Auch ich würde mit dem geliebten Mann bis ans Ende der Welt gehen, wenn er es will. Aber ich bin allein. Schrecklich einsam und voller Angst vor dem Neuen, das auf mich wartet. Ob ich überhaupt jemals einen richtigen Mann kennenlerne, der etwas von mir wissen will? Ich bin kein Aschenputtel, und er braucht kein Prinz zu sein. Aber eins ist sicher: Jeden Durchschnittsmann nehme ich nun doch nicht! Und auch keinen Wüstling!
    Je näher das Schiff dem Hafen kam, desto unruhiger wurde Alice. Jetzt verließ sie beinahe die Sorglosigkeit der Jugend, die darauf vertraut, daß sich das meiste von selber regelt.
    Aber ihre Unruhe war umsonst gewesen. In Portsmouth erwartete sie Tante Elizabeth. Der Blonde, der sie geküßt hatte, blieb unsichtbar.
    Alices Name wurde durch ein Megaphon ausgerufen. Sie meldete sich, und dann fühlte sie sich umarmt von einer erschlagend eleganten, in eine Wolke von Blumenparfüm und Zigarettenaroma eingehüllten Dame und überschüttet mit einem Strom englischer Sätze in dem etwas schrillen, nasalen Ton, den britische Ladies pflegen.
    Alice war erstaunt. Tante Elizabeth – »Please, call me Bettie, my dear!« – also Tante Bettie hatte mit Alices Großmutter überhaupt keine Ähnlichkeit. Erstens war sie wirklich viel jünger. Zweitens kleidete sie sich nach der letzten Mode. Ihr Rock war gestuft und an den kürzesten Stellen knapp knielang! Außerdem sah Alice bei ihr den ersten Blaufuchs ihres Lebens. Das Fell mit Schwanz und Glasaugen im sorgfältig präparierten Kopf hing üppig um Betties Schultern.
    Noch überraschender war es, daß Tante Bettie die Großnichte im eigenen Auto abholte. Das Maybach-Cabriolet war hinten geschlossen, und vorn war eine Art Plane aufgerollt worden.
    Auf dem Rücksitz tobten und kläfften drei winzige weiße Malteserhündchen, deren Pony-Haare mit roten Schleifchen aus dem Gesicht gebunden waren. Bettie Neary pfefferte ihren Blaufuchs neben sich, als sie hinter dem Steuer Platz nahm. Alice sprang hinein und ließ sich auf das Polster fallen, während Bettie schon den zierlichen Fuß aufs Gaspedal drückte. Ihr Rock war über den halben Schenkel hochgerutscht. Alice staunte. Durfte eine Dame denn so dasitzen? Daß man die fleischfarbenen Seidenstrümpfe so sah? Madame Tissot wäre wohl in Ohnmacht gefallen bei dem Anblick. Und Großmutter – hier mußte Alice lächeln – hätte ihre Enkelin ganz sicher nicht zu einer Dame reisen lassen, die sich derartig freizügig benahm. Nun, es waren ja keine Männer anwesend.
    Bettie hatte die Kleine kurz mit einem Seitenblick gestreift. »Du lächelst. Sehr gut«, stellte sie fest. »Man sollte das Leben nicht tragisch nehmen.« Sie war angenehm überrascht. Hatte sie doch befürchtet, hier ein häßliches Internatsentlein mit gehemmtem Wesen unter ihre Fittiche nehmen zu müssen.
    Diese Alice war jedoch wirklich hübsch. Mit etwas mondäner Nachhilfe würde sie durchaus Aufsehen erregen in der Londoner Debütantinnenszene.

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