Im Zeichen des großen Bären
sehr. In der freien Natur wären sie Einzelgänger gewesen. Hätten sich allenfalls zufällig versammelt, wenn irgendwo reiche Beute lockte.
Hier im Zoo gingen sie vorsichtig miteinander um. Jedes Tier hielt seinen Spielraum ein, selbst das jeweils stärkere beschränkte sich klug. Sie interessierten sich im Grunde nicht füreinander, die großen braunen Teddybären, die sich so drollig auf die Hinterbeine stellen konnten, wenn ihr Wärter ihnen nachmittags das Futter zuwarf oder an Stangen hinschob, darunter auch die Spenden ihrer Dauerbesucher, die sich extra um sie kümmerten und ihnen Leckerbissen mitbrachten. Die gaben sie beim Wärter ab, der sonderbarerweise Bear hieß, und man wußte nicht, ob das nun reiner Zufall war oder ob der Name ihn in seiner Berufswahl beeinflußt hatte.
Mr. Bear liebte seine Bären. Ob sie ihn liebten, konnte keiner mit Sicherheit sagen. Sie hatten kein Mienenspiel. In den Backen und Stirnen saßen keine Muskeln, mit deren Hilfe sie Lachen oder Wut oder Zuneigung hätten zeigen können. In der freien Natur brauchte ein Bär keine Mimik. Er lebte allein und wollte sich auch keineswegs mit Artgenossen anfreunden. Wozu also?
Nun, es gab schon eine Zeit, in der sie sich gern mitgeteilt hätten. Wenn der erwachsene Bär auf die Bärin traf und die Liebe ihn wie ein Gewitter überkam, dann fehlte ihm die Kunst, geschmeidig-liebevoll zu wirken.
So erging es auch Kitchener, als er plötzlich von einer nie geahnten Leidenschaft zu Rose ergriffen wurde. Und Rose, die Jungfräuliche, war ebenfalls ganz hingerissen von diesem Kerl, der auf sie zukam und sich vor ihr erhob. Da erhob sie sich gleichfalls, richtete sich hoch auf. Ein Naturereignis nahm seinen Lauf. Das Liebesspiel glich anfangs eher einem erbitterten Ringkampf. Rose war vom Umgang mit ihren Artgenossinnen her an Siege gewöhnt. Kitchener hatte noch nie eine Niederlage erlitten.
So rangelten sie und drückten und schoben. Sie umklammerten sich mit ihren Vorderpranken und setzten ihre Muskeln ein. Sie glichen aufs Haar zwei Kämpfern im Ring. Es fehlte eigentlich nur noch der Schiedsrichter, der das Spiel leitete. Doch daran wäre nicht zu denken gewesen. Nicht im Sturme dieser Leidenschaften.
Selbst Mr. Bear, der sich sehr oft über die strengen Dienstanweisungen hinwegsetzte und das Gelände betrat, um sauber zu machen, ohne die Bären vorher in ihre Innenräume umdirigiert zu haben, hielt sich so fasziniert wie vorsichtig in sicherer Entfernung auf.
Ja, Kitchener war plötzlich für Rose entflammt, wußte aber nicht, was mit ihm geschah. Doch als er da so mit ihr auf Fellfühlung war und ihre lieblichen Tatzen ihn umklammerten, da ergriff ihn überwältigende Leidenschaft, und unendliche Zärtlichkeit rauschte durch seine Adern.
Rose kämpfte noch erbittert, hatte den Sinneswandel noch nicht bemerkt. Er biß sie nicht, wie er's sonst getan hätte. Nein, er tätschelte sie mit den Pfoten. Er lehnte seine Backe an ihre und rieb sie schmusend, er streichelte sie, und Rose reagierte. Aus der wilden Penthesilea wurde das lockende Weib, das dem ewigen Instinkt folgte, zärtlich und aufreizend zu sein. Und sie machte es gut.
Kitchener segelte auf einem Meer von Wonne. Sein Schiff hatte Masten aus Gold und Segel aus Purpurseide und einen Rumpf aus silbernen Sternen. Er war nicht mehr Kitchener, der Regimentsbär, die Attraktion für Zoobesucher, sondern eine lodernde Fackel, ein Instrument der großen Schöpfung.
Es gab nur noch Rose und Kitchener, Kitchener und Rose. Ja, es war Frühling. Draußen im Land und drinnen im Herzen. Die Bärenromanze war ungeheuer und leider auch vergänglich wie die meisten großen Romanzen. Sie währte drei Wochen, und drei Wochen können bekanntlich sehr lang sein, manchmal länger als ein ganzes Leben.
Dann trollte Rose sich wieder, und Kitchener zog sich vornehm neben seinen Lieblingsfelsen zurück. Sage keiner, die Affäre sei letztlich zu nichts gut gewesen. Und wie gut sie war! Drei Bärenbabies warteten jetzt auf ihren Auftritt in der Welt.
Kitchener, wie gesagt, war eine Berühmtheit. Natürlich wurde die Nachricht von seiner Liebe groß aufgemacht in den Zeitungen. Die Reporter hatten sich mit ihrem Gespür für das Skurrile der ganzen Geschichte längst auf diesen alten Haudegen kapriziert. Denn er war ja nicht, wie andere Zootiere, ein Tier ohne Hintergrund. Nein, in Kanada marschierte ein ganzes Regiment sozusagen hinter ihm her. Er war immer noch das offizielle Maskottchen des 159.
Weitere Kostenlose Bücher