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Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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blühenden Goldregenbusch in Wasserfarben zu malen. Sie sprach wieder Plattdeutsch mit den Leuten. Ihre Haut hatte ein frisches Braun angenommen. Madame Tissot wäre entsetzt gewesen. Sie fand Farbe einfach ordinär. Aber Alice blickte in den Spiegel und sah, daß es ihr stand.
    Sie betrachtete sich aufmerksam. Die hohe, runde Stirn, die dunklen, feuchten Augen, sehr groß und lebhaft, die winzige Nase und den kleinen Mund mit den vollen, etwas aufgeworfenen Lippen, der tatsächlich an eine Frucht denken ließ.
    Ihr Busen war nicht groß, aber hübsch rund, die Taille gertenschlank, die Hüften rundeten sich mit Maßen. Die Beine – o ja, die Beine! Hier war Alice sich ganz sicher: Sie waren besonders hübsch. Das hatten sogar ihre Klassenkameradinnen bestätigt.
    Irgendwann wird es mir auch ein Mann sagen, dachte sie und errötete. François in Bern hätte es natürlich nie gewagt, über Beine zu reden. Doch Alice wußte, daß es Männer gab, die es taten. Richtige Männer. Erwachsene Männer. Ein Mann, der eine Frau liebte und an sein Herz nahm … o ja! So einen Mann werde ich mir suchen, beschloß sie und plusterte mit beiden Händen ihre dunklen Locken auf. Ich werde ihm folgen, wohin er will. Und ich werde mich nicht beirren lassen. Von niemandem. Wie Mama!
    Belinda im Internat, deren Mutter eine bekannte Schauspielerin war, hatte eine ›dunkle Vergangenheit‹ gehabt, was immer das sein mochte. Jedenfalls hatte sie nur verächtlich gelächelt, wenn die anderen Mädchen über ihre Zukunftserwartungen geredet hatten.
    Irgend jemand hatte behauptet, Belinda habe sich vom Freund der Mutter verführen lassen und sei mit ihm durchgebrannt. Ein alter Mann von vierzig Jahren! Das war doch ganz und gar unglaubhaft! Außerdem hätte man es Belinda ansehen müssen. Irgendwie lasterhaft wäre sie erschienen. Aber sie sah frisch und rosig aus wie ein Pfirsich am Morgen.
    Trotzdem: Etwas hatte Belinda ihnen vorausgehabt. Dieses Lächeln vielleicht. Und ein Wissen, das sich manchmal in kurzen Sätzen niederschlug. »Mit einem Kuß fängt es überhaupt erst an, das ist sozusagen die Einleitung«, hatte sie gesagt.
    Der Satz ging Alice nicht aus dem Kopf, und wenn sie daran dachte, fühlte sie angenehm erschauernd Erwartung und Erregung. Leidenschaft! Ich will es groß und leidenschaftlich, als eine lodernde Flamme, und wenn ich darin umkommen sollte – wie Mama, nahm sie sich vor.
    Bevor Alice abreiste nach London, nahm ihre Großmutter sie noch einmal in die Mangel. »Du bist keine reiche Erbin, Alice, mein Kind, vergiß das bitte nicht. Wir haben Thießendorf in Pacht. Auch das bedeutet eine große Verpflichtung, vor allem den Leuten gegenüber, deren Existenz davon abhängt, daß sie eine gute Herrschaft haben. Wenn du und der Mann, den du hoffentlich einmal finden wirst – aber das hat ja noch Zeit –, Thießendorf nicht selber bewirtschaften wollt oder könnt, so muß hier ein tüchtiger Verwalter her. Unser junger Mecksiepen könnte vielleicht das Format haben. Er kommt aus guter Familie und ist schon sehr tüchtig. Wie gefällt er dir?«
    »Mecksiepen?! O Großmutter, ich habe ihn gar nicht richtig angesehen. Er ist so … so klein und rosig. Ich glaube nicht, daß ich ihn heiraten möchte.«
    Jetzt wurde sogar Deborah Kellenhusen verlegen. »Alice, sei bitte nicht geschmacklos. Niemand erwartet, daß du Mecksiepen heiratest. Außerdem ist er verlobt, so viel ich weiß. Ich möchte nur wissen, wo man den jungen Damen heutzutage diese freien Töne beibringt. Eine junge Dame heiratet nicht, sondern sie wird geheiratet. Außerdem redet sie nicht davon. Wenn sie ihre Wahl getroffen hat, richtet sie es vorsichtig so ein, daß der Auserwählte ihr einen Antrag macht.«
    »Und wie fängt sie das im einzelnen an, Großmutter?« fragte Alice interessiert.
    Deborah Kellenhusen betrachtete kurz ihre bildhübsche Enkelin. Wie sie in solchen Augenblicken doch ihrer Mutter glich! Liebe und Besorgnis überfluteten das Herz der alten Frau. Sie wußte ja selber, wie schwer es war, die Wünsche und Hoffnungen im Zaum zu halten. Das Ungestüm der Jugend – wie schwer wog das. Und doch war es die Pflicht einer Frau, beherrscht und reserviert zu sein.
    »Wie man es im einzelnen anfängt, das wirst du im rechten Augenblick schon wissen«, sagte sie. »Aber denke immer daran, mein Kind: Die Initiative übernimmt allein der Mann.«
    Alice seufzte. »Hoffentlich finde ich so einen!« Und sie dachte an François, und wie schüchtern er

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