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Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Natürlich, da war ja auch dieser Skandal mit ihrer Mutter gewesen. Ein Zirkuskind. Ein Kind der Liebe. So etwas ging doch nicht spurlos vorüber. Hoffentlich war sie nicht zu leichtsinnig, denn dann konnte man lieber einen Sack Flöhe hüten als ein lebhaftes junges Mädchen, das etwas erleben wollte.
    Nun, man würde sehen. Noch war Zeit. Vor dem Herbst begann die Ballsaison nicht. Der Vater der kleinen Alice war ja wohl ein halber Italiener gewesen. Immerhin hat sie aber auch ein wenig britisches Blut von unserer Seite her, dachte Bettie.
    Sie und ihr ›Big Ben‹ hatten sich anfangs Kinder gewünscht, doch nachdem sie drei Fehlgeburten gehabt hatte, waren sie eben zu zweit geblieben. Es war nett, nun plötzlich ein junges Mädchen ›zum Betutteln‹ zu haben.
    Die Nearys bewohnten eine geräumige Stadtvilla. Sie lag zurückgebaut am Regent's Park. Das Personal war in der Halle aufgereiht, um unter Führung des Butlers den Hausgast Miss Alice Kellenhusen willkommen zu heißen.
    Abends kam Onkel Ben nach Hause. Er war in der Tat hochgewachsen und schlank, mit einem zerfurchten Pferdegesicht, langen Zähnen und spärlichen, grau-blonden Haaren. Wenn er lachte, sah er aus, als ob er beißen wolle. Aber er war sehr nett. Beim Dinner fragte er Alice: »Nun, was möchtest du denn als erstes unternehmen bei uns in London?«
    Bettie lachte. »Ich habe schon viele Pläne gemacht, Besuche, Einkäufe, Themsefahrt, Reise nach Margate zum Baden, ach, so vieles!«
    »Du mußt Alice aber fragen, ob sie zu allem auch Lust hat«, ermahnte Ben seine lebhafte Frau.
    »Hast du Lust, Alice?«
    »Ja, natürlich, sehr! Ich bin überaus dankbar für eure Fürsorge.«
    »Aber das bedeutet gar nichts. Wenn du noch eigene Vorschläge hast – bitte, heraus damit!«
    Alice druckste ein wenig, dann sagte sie entschlossen: »Wenn es geht, möchte ich auch, irgendwann, es eilt natürlich überhaupt nicht, gern einmal in den Zoo gehen!«
    Bettie lachte perlend. »Ist sie nicht süß?« fragte sie ihren Mann, der ebenfalls schmunzelte. »Ich lege ihr die Londoner Gesellschaft zu Füßen. Und was wünscht sich das Kind? Einen Besuch im Zoo! Ach, das ist wirklich erfrischend. Nein, Alice, du brauchst nicht rot zu werden. Ich finde es reizend, ganz reizend. Selbstverständlich gehen wir auch in den Zoo … eines Tages.«
    Sie wissen ja nicht, was mir ein Zoobesuch bedeutet, können es nicht wissen, dachte Alice. Zoo und Zirkus, irgendwie haben sie etwas gemeinsam. Es ist, als ob ich dort meinen Eltern näher wäre. Aber das verrate ich natürlich nicht!

3
    Im Londoner Zoo war der Bär Kitchener längst eine Institution geworden – wie Nessie, das Ungeheuer vom Loch Ness, oder wie Robin Hood, der Rächer der Entrechteten. Und der ›Regimentsbär‹ hatte einen unschätzbaren Vorteil: Es gab ihn wirklich! Er konnte besucht und besichtigt werden. In den Sommermonaten marschierte er würdevoll im Freigelände umher zwischen seinen Damen.
    Es waren drei oder vier Bärinnen, je nachdem, ob eine gerade mit ihrem Nachwuchs beschäftigt war oder nicht. Meistens trotteten nur drei Damen übers Gelände.
    Erst mit fünf Jahren hatte Kitchener von seinem Recht als Eheherr Gebrauch gemacht. Vorher hatte es wohl Plänkeleien gegeben, aber sein Geschlechtstrieb war noch nicht voll erwacht.
    Seine Favoritin hieß Rose. Kitchener hatte es sich bei der Brautschau insofern einfach gemacht, als er abwartete, welche Bärin in den langwierigen Kämpfen um die Spitzenrolle in der weiblichen Rangordnung siegte. Nun, Rose hatte gewonnen. Sie war ein temperamentvolles, äußerst kampflustiges und stolzes Bärenweib. Eine Aufgabe für einen gestandenen Bären wie Kitchener.
    Doch Rose kannte ihre Grenzen. Dieser ausgewachsene Kerl, der so ruppig zärtlich zu ihr war, mußte ihr Herr sein.
    Sie wußte es instinktiv, und die Zooherren hätten es ihr bestätigen können: Ein einziger Schlag mit seiner Pranke hätte sie zerschmettert. So ließ sie sich von ihm heftig kosen und erwiderte seine Leidenschaft mit Maßen, wie es ihr zukam als Siegerin der Damenriege. Denn ihren Rivalinnen gegenüber setzte sie durchaus die scharfen Krallen, die kräftigen Pranken und die starken Zähne ein. Sie alle wußten, wo sie rangierten. Erst kam Kitchener, dann Rose, die ihrem poetischen Namen eigentlich wenig Ehre machte, dann May, Mona und als Schlußlicht Cynthia, die, obwohl sie doch ein Mädchen war, für alle den Prügelknaben abgeben mußte.
    Eigentlich liebten sie sich alle nicht

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