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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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vorbeiging. Nebelschwaden hüllten die Pfosten ein, stauten sich unter den Strohdächern. Es war entsetzlich kalt. Ich ging durch das Tor und trat auf die Terrasse hinaus. Ich hörte die Brandung sehr nahe. Woge um Woge erschütterte den Erdboden. Das Einzige, was ich im dichten Nebel erkennen konnte, war, genau mir gegenüber, ein Teil des östlichen Wachturmes. Fröstelnd zog ich mein Gewand zusammen. Tief atmete ich die salzige, feuchte Morgenluft ein. Vor mir, im weißen Dunst, stand regungslos ein Mann. Die Falten seines schwarzen Umhangs waren wie Schwingen um die breiten Schultern gelegt. Langsam trat ich näher. Er wandte leicht den Kopf. Ich senkte die Stirn und berührte flüchtig seinen Arm. Eine Zeit lang sahen wir schweigend in den Nebel: Mir schien, als schwebe ich hoch oben in den Wolken.
    Plötzlich löste er sich aus seiner Versunkenheit, sah mich an und sagte verwundert: »Aber du frierst ja!«
    Er nahm seinen Umhang ab und legte ihn mir um die Schultern. Dankbar hüllte ich mich in die warmen Falten ein und lächelte ihn an. »Es ist schön hier.«
    Er nickte. »Ich liebe den Nebel. Jeden Morgen, bei Tagesanbruch, komme ich hierher, um dem Sonnenaufgang zuzusehen. Einst habe ich ein Gedicht verfasst:
    Acht Wolkenschichten ziehen herauf,
Auf dass ich meine Geliebte darin verberge.
Der achtfältige Zaun des Landes Izumo
Umschließt den achtfältigen Wolkenzaun …«
    Die Wellen rauschten, und er hatte leise gesprochen; dennoch verstand ich seine Worte. Und in dem Augenblick, als seine Stimme erlosch, drang ein Lichtstreifen durch die Nebelmasse. Das helle Sonnenlicht durchbrach mit einem Schlag die weißen Schatten. Alles ringsum war in blitzendes, eisklares Feuer getaucht. Nebel und Dämpfe wurden vom Sonnenglanz aufgelöst, fortgedrängt; sie hoben sich, um das grün schillernde, schäumende Meer in strahlender Weite freizugeben …
    Das Gesicht in Licht getaucht, schloss ich geblendet die Augen. Wind war aufgekommen. Die Falten des schwarzen Umhangs schienen zu atmen, ich spürte auf meiner Haut ihr streichelndes Wallen. Nach einer Weile fragte ich leise: »Was soll ich dem König berichten?«
    Ein Schwarm Seeschwalben schoss über die Klippen. Kreischend schwangen sich die Vögel in den Himmel. Er verfolgte sie mit den Augen und ein tiefer Atemzug hob seine Brust. »Teile ihm mit, ich habe die Stimme meines Schwertes vernommen. Bei Neumond soll das Heer sich zum Aufbruch bereithalten.«

Zweiter Teil

6
    D ie Vorbereitungen zum Aufbruch waren in vollem Gang. Die Soldaten ölten die Speere, schärften Schwerter und Dolche. Die Stallburschen striegelten die Pferde und putzten das Sattelzeug. Träger waren damit beschäftigt, eine Unmenge Gepäck aufzustapeln. Trinkwasser und Proviant wurden auf die Galeeren geschafft, die startklar im Wasser lagen. Die Schiffe sollten mit einem Teil der Streitkräfte flussaufwärts nach Shirakata segeln, wo das Heer überwintern würde. Der Herrscher indessen wollte das günstige Herbstwetter nutzen, um mit seinen Reitern bis zum Berg Ikoma vorzudringen; in jenes berüchtigte Gebiet, das von den Wald-Ainu bewohnt wurde und schon manchem Stoßtrupp zum Verhängnis geworden war.
    Iri war sehr ungeduldig: Ich war schon seit zehn Tagen zurück und der König von Izumo ließ immer noch auf sich warten. Schließlich hatte Iri die Ratsversammlung einberufen, um den Befehlshabern neue Anordnungen zu erteilen.
    Wir saßen unter dem Baldachin, der in der Herbstsonne wie ein goldenes Segel leuchtete. Kana, der Adler, saß auf seiner Stange und zischelte leise. Es war drückend heiß. Die Krieger hatten ihre Rüstungen abgenommen. Iris nackte Brust war mit Öl eingerieben; die weiten Seidenhosen ließen seinen biegsamen Oberkörper, vom Schwertgurt umschlossen, noch schmaler erscheinen. Ich kniete an Iris Seite, in einem luftigen gelben Seidengewand und purpurner Schärpe. Mit einem Fächer verscheuchte ich die Moskitos, die in der flimmernden Luft summten.
    Das schlanke Schiff aus Mahagoni und Rohrgeflecht erschien an der Flussbiegung. Es durchschnitt die Wasserfläche mit leisem Rauschen und hinterließ eine glitzernde Spur. Das weiße Segel mit dem roten Sonnenzeichen spannte sich wie eine vibrierende Flügelhaut.
    Die Wachtposten am Ufer hatten es schon eine Zeit lang beobachtet. Die Nachricht, von Mann zu Mann weitergegeben,

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