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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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spiegelte, stieg langsam und riesengroß die Mondscheibe über den Hügeln auf. Und so kam der Augenblick, wo beide, nur für kurze Zeit, auf gleicher Höhe im völligen Gleichgewicht verharrten.
    Da erhob sich Susanoo und gab ein Zeichen. Eine alte Bäuerin, vermutlich das Dorfoberhaupt, trat auf ihn zu und verneigte sich. Sie war ganz in Weiß gekleidet und ihr ebenfalls weißes Stirnband war mit Eichenlaub bekränzt. Sie hielt eine Pechfackel in der Hand. Ein kleines Mädchen folgte ihr. Sie hatte langes Haar, das ihr bis auf die Fersen fiel, und ein weiß geschminktes Gesicht. Das Kind schlug einen Feuerstein. Funken sprühten wie Leuchtkäfer auf. Die Fackel entzündete sich. Und in dem Augenblick, als die alte Frau sie feierlich dem König überreichte, glühten Fackeln wie tausend feurige Blumen in der Dämmerung auf. Sie fluteten über die Treppen, strömten die Mauern entlang, glänzten auf Waffen und Harnischen, huschten und wogten auf dem rotgoldenen Sand.
    Die alte Frau geleitete ihren König durch die schweigende Menschenmenge, die um die »Taimatsu« einen dichten Kreis bildete. Dann verneigte sie sich und trat zurück. In tiefer Stille hielt Susanoo die Fackel an die »Taimatsu«. Zuerst stieg nur ein Rauchfaden hoch, wurde dichter, und ein Flämmchen züngelte empor. Das Feuer erfasste das Stroh, wuchs und loderte auf wie eine gelbe Fahne im Wind. Jubel stieg aus der Menge. Alle, die eine Fackel trugen, warfen sie in die Feuergarben. Die Flamme schlug in die Höhe und warf flackernde Schatten; knackend und zischend barst das Schilf. Rund um die »Taimatsu« stand die Hitze wie eine Wand, und der Wind, der vom Meer kam, zog eine Funkenschlange mit sich. Die Trommel dröhnte. Die Mauern warfen das Echo zurück, der Boden bebte. Tausende Stimmen kreischten, lachten, jubelten. Die Sonne leuchtete ein letztes Mal auf, dann senkte sich Dunkelheit über das Meer und der Mond stieg in goldener Pracht über den Himmel …
    Diener hatten Matten und Kissen auf dem Boden ausgebreitet. Die Bauern hatten Sßkartoffeln, Reiskugeln und schwarzen Zucker mitgebracht. Wie es der Brauch verlangte, nahmen wir an ihrem Mahl teil. Krüge mit Reiswein gingen von Hand zu Hand, die Bauern hatten den besten für diesen Abend aufgehoben. Ich saß neben dem König und wunderte mich nicht, dass er mit seinen Lehnsleuten lachte und trank. Die »Taimatsu« loderte hell und brausend: eine Feuersäule, die Erde und Himmel vereinte.
    Später, als das Stroh fast gänzlich heruntergebrannt war und die Funken wie tausend feurige Sterne den Sand übersäten, ließ sich der König seine Flöte bringen. Die Trommel schwieg mit einem Mal; Scherze und Gelächter verstummten. Ein kalter Wind, der den Geruch von Asche mit sich trug, strich über mein Gesicht. Meine Gedanken kehrten zu jener Zeit zurück, da man in Yamatai erzählte, Susanoo könne mit seiner Musik Menschen und Tiere betören.
    Und wirklich, schon beim ersten Ton rührte sich nichts mehr, nur die Fackeln knisterten. Sein Gesicht war unbeweglich; er schien tief in seinem Innern einer Stimme zu lauschen, die nur er zu hören vermochte und deren Ton er nun in die Sprache der Flöte zu übersetzen versuchte: Es war die Stimme des Schmerzes und der Einsamkeit, aber auch die Stimme der Leidenschaft, des ungebeugten Stolzes und der unbegrenzten Freiheit. Ich sah auf seine Augen, auf seine Lippen, auf seine gelenkigen Finger und auf die grünen Tama-Steine, die an seinen Handgelenken im Feuerschein glitzerten. Unaufhaltsam, unablässig stieg die Vergangenheit in mir auf und nahm von mir Besitz …
    Später. Die Fackeln rauchten und verglommen, doch man zündete keine neuen an. Der Glanz des Mondes war so hell, dass auf seiner Oberfläche silberhelle Wellen zu flimmern schienen. In der bläulichen Luftspiegelung zeichnete sich jeder Schatten messerscharf ab. Wieder ertönten Pfeifen und Händeklatschen, die Trommel hämmerte in immer schnellerem Rhythmus: Die Bauern tanzten. Zofen und Diener hatten sich ihnen zugesellt. Viele waren derart betrunken, dass sie torkelten und unter allgemeinem Gelächter aus dem Takt kamen. Die Tanzenden bildeten zwei Kreise - innen die Frauen, außen die Männer -, stampften mit den Füßen den Takt, schüttelten mit gebogenen Schultern ihr Haar und ahmten mit Armen und Händen das Flügelschlagen

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