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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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bald erreichen würde. Und mit einem Mal blitzte das Sternenschwert wie eine Funkengarbe auf, schoss an dem Lederschild vorbei und bohrte sich tief in Azamaros Brust.
    Ein vielstimmiger Schrei - halb Seufzer, halb Triumph - stieg aus den Reihen der Krieger. Einige Atemzüge lang stand der Ainu-König schwankend inmitten der Gräser, als würde er einzig durch die Klinge, die ihn durchbohrte, auf den Füßen gehalten. Seine Augen blickten jetzt gläsern und das Schwert entglitt seiner Hand. Dann zog Susanoo seine Waffe zurück. Ein Schauer rann durch Azamaros Körper und er sank langsam in die Knie. Er fiel nach vorn, rollte herum und blieb still in den Gräsern, die sich rot färbten, liegen.
    Das Stöhnen, das vom Waldrand zu uns herüberdrang, steigerte sich zu wildem, leidenschaftlichem Klagen. Es schien nicht nur aus der Luft, sondern aus dem Innern der Erde, aus den Tiefen der Felsen emporzudringen. Ich spürte, wie mein Blut erstarrte, wie mich das Grauen erfasste. Die Tungusen hoben die Speere, umklammerten die Schwertgriffe. Ihre unruhigen Blicke richteten sich aufs Gebüsch, glitten über die düsteren Umrisse der Felswände.
    Susanoo schenkte dem allen keine Beachtung. Er wischte sein Schwert ab und blickte auf den Mann, den er getötet hatte. Anstrengung, Schweiß und Staub hatten seine Züge zu einer düsteren Maske erstarren lassen und die Falten um seinen Mund waren tief wie die Einschnitte eines Messers. Er hob das »Tanneku«, das Langschwert, auf und betrachtete es eine Weile nachdenklich. Dann bückte er sich und schob es wieder in die Lederscheide, die am Schwertgurt des Toten hing. Schließlich befahl er zwei Soldaten, den Leichnam zu bewachen, ihn vor Plünderern und Raubtieren zu schützen.
    Unvermittelt brach das Wehklagen ab. Noch unheimlicher als das gespenstische Jammern war die völlige Stille. Eben noch war die Dämmerung klar und durchsichtig gewesen, jetzt hatte sich die Nacht unmerklich herabgesenkt und den Wald wie unter einer riesigen schwarzen Decke begraben.
    Obwohl es Iri widerstrebte, die Nacht in dem engen Talkessel zu verbringen, sah er sich gezwungen, hier das Lager aufschlagen zu lassen. Instinkt und Erfahrung sagten ihm, dass die Ainu nach dem Tod ihres Königs in den nächsten Stunden nicht angreifen würden. Seine Befehle waren knapp: »Man achte darauf, dass das Lager gegen Überfälle geschützt ist. Die Männer sollen bei ihren Waffen schlafen. Man lasse die Pferde angepflockt grasen. Am Waldrand sollen die Wachtposten vervierfacht werden. Und man entzünde Feuer, damit das Lager erleuchtet ist und die Wilden sehen, dass wir auf der Hut sind!«
    Bald flackerten die ersten Feuer auf. Für den König und sein Gefolge wurden Zelte aufgeschlagen. Matten bedeckten den Boden; Brokatdecken und seidene Kissen wurden darauf gehäuft. Die Standarte, auf der der Adler seinen Platz hatte, war vor dem königlichen Zelt aufgepflanzt, doch Kana war noch immer nicht zurückgekehrt, und der Wächter blickte beunruhigt zum Sternenhimmel auf.
    Während Onoshi, der Feldarzt, mit seinen Helfern die Verwundeten pflegte, kümmerten sich die Stallburschen um die Pferde, nahmen ihnen die Harnische ab und rieben ihnen das nasse Fell trocken. Die erschöpften Krieger drängten sich um die Lagerfeuer. Quellwasser, Reis und Gerstenbrei waren ihre einzige Nahrung. Das Fleisch der umgekommenen Pferde wurde nie angerührt.
    Mir war elend zumute. Kuchikos Tod bewegte mich zutiefst. Ich ließ die Bestattung vorbereiten. Die Toten wurden gewaschen, in weiße Tücher gehüllt und auf grob gezimmerte Bahren gelegt, um bei Sonnenaufgang den Flammen übergeben zu werden. Etsu und Hana schlugen leise die Tempeltrommeln. Der weiche Klang vermischte sich mit dem Rauschen des Wildbaches. Ich verbrannte Weihrauchstäbchen vor dem Schrein der Göttin. Während ich mit halb lauter Stimme die Sterbegebete sang, dachte ich an den Ainu-König. Er hatte gegen das Sternenschwert gekämpft, obgleich er sein Schicksal vorausahnte. Seine rätselhaften Worte hallten noch in mir wider und ich entsann mich auch Susanoos Traum. Doch ich vermochte die Zeichen immer noch nicht zu deuten …
    Aufgeregtes Schnauben und Klirren von Zaumzeug rissen mich aus meinen Gedanken. Fast gleichzeitig erschallten die Warnrufe der Wachtposten. Die Krieger sprangen auf, schnallten ihre Harnische um und griffen zu den

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