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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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nun?«, stieß sie plötzlich hervor. »Bin ich jetzt deine Sklavin?«
    Er saß vor ihr auf den Fersen und betrachtete sie. Dann ließ er sein leises, raues Lachen hören. »Habe ich dich wie eine Sklavin behandelt?«
    Sie senkte den Kopf und biss sich auf die Lippen. Das Haar fiel ihr ins Gesicht. Dann sagte sie gepresst: »Ich hätte dich töten sollen.«
    Â»Was hinderte dich daran?«
    Sie schwieg. Die Dunkelheit vertiefte sich. Er stand auf und begann, trockene Zweige zu sammeln. Kubichis Blick ließ nicht von ihm ab, während er die Feuersteine schlug und die Glut entfachte.
    Plötzlich zerriss lautes Flügelschlagen die Stille. Das Mädchen hob den Kopf. Ein Geier erhob sich vom Ast eines verdorrten Baumes. Er schlug kräftig mit den Schwingen, bis er in einer aufsteigenden Luftsäule in mächtigen Kreisen aufwärtssegelte.
    Â»Dort oben«, flüsterte Kubichi, »fliegt ein Bote des Himmels.«
    Susanoos Blick wanderte zu ihr zurück. Ihr Gesicht drückte Frieden und Ehrfurcht aus. Eine Frage brannte ihm auf den Lippen, doch er sprach sie nicht aus.
    Das Mädchen hatte den Kopf wieder gesenkt. Schwermut verdunkelte ihre leise, klare Stimme. »Die Boten des Himmels bringen die Menschen zu den Göttern und schenken ihnen das ewige Leben. Dies ist ihr Land. Es ist auch mein Land. Und solange die Boten des Himmels dort oben kreisen, werden wir hier unten dafür kämpfen.«
    Der Geier war nur noch ein schwarzer Punkt am purpurroten Himmel. Susanoo spürte, wie er erschauerte: Es musste der Wind sein. Die Nacht würde sehr kalt werden. Er schürte die Glut.
    Kubichis Stimme klang verzweifelt. »Du hast meinen Vater mit dem Zauberschwert getötet. Er opferte sein Leben, um den Mut unseres Volkes zu stärken. Mein Bruder leitet den Widerstand der Kotan. Ich jedoch habe Verrat begangen …«
    Das Rot des Himmels erlosch. Ein fahler, abnehmender Mond stand schräg über dem Horizont. Der Herbstfrost hatte bereits den Boden gehärtet. Unwillkürlich rückte das Mädchen näher ans Feuer.
    Â»Auch ich habe einmal Verrat begangen«, sagte Susanoo wie beiläufig. Er sah ihr Gesicht im rötlichen Schein der Flammen.
    Â»Dem König gegenüber?«
    Er lachte spöttisch auf. Dann wurde sein Gesicht wieder ernst. »Nicht dem König gegenüber. Es war mein Volk und mein eigenes Blut, das ich verriet. Ich wurde bestraft und verbannt. Es ist eine alte Geschichte.«
    Sie starrte ihn an. »Und warum sprichst du darüber?«
    Er hielt inne, um das Feuer zu schüren, und erwiderte offen ihren Blick. »Nichts ist schlimmer als der Verrat, den man gegen sich selbst verübt. Wer einen Fehler oder eine Ungerechtigkeit begeht und sich dazu bekennt, wird Frieden in seinem Herzen finden, und müsste er den Rest seines Lebens in Ketten verbringen.«
    Sie beobachtete unablässig seine Augen. Er wusste, dass die Ainu die Fähigkeit besaßen, das Wesen eines Menschen oder eines Tieres schnell und unfehlbar zu beurteilen.
    Dann sagte sie: »Du bist anders als die anderen. Warum kämpfst du mit den Sisamu gegen unser Volk?«
    Er wandte den Blick zurück in die Flammen. »Ich hatte einen Traum …«
    Â»Was für einen Traum?«
    Er erzählte ihn ihr.
    Sie senkte den Blick. Er spürte, wie ihr Atem sich beschleunigte. Dann sagte sie nachdenklich: »Träume sind Spiegelbilder der Wirklichkeit und Sprache unserer Seele. War dieser Traum der Anlass zu kämpfen?«
    Â»Nicht allein. Die Stimme des Orakels forderte mich auf.«
    Ihre Schultern bebten, als ob sie fröstelte. »Der Zwang muss sehr mächtig gewesen sein. Wer ist die Frau, die dir das Orakel offenbarte?«
    Er sah ihr voll ins Gesicht. »Toyo-Hirume-no-Mikoto. Meine Tochter.«
    Sie erbebte und rückte vom Feuer ab. Doch er rührte sich nicht. Dann sah er ihre Augen im rötlichen Flammenlicht schimmern und merkte, dass sie weinte. Langsam erhob er sich, ging um die Feuerstelle und trat zu ihr hin. Eine Weile stand er neben ihr, blickte stumm auf sie herab. Sie verharrte regungslos, während er sich vor ihr auf die Fersen niederließ. Eine einzelne Träne hinterließ auf ihrer Wange eine glitzernde Spur. Er hob zärtlich die Hand und fing die Träne auf; sie rollte in seiner Handfläche wie eine goldrosa Perle und er erinnerte sich an seinen Traum. Dann fuhr ein Windstoß über die

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