Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
auf die Marmeladenschale zukrabbelte.
»Ich bin dann weg, Mama«, sagte ein blonder, zerzauster Kopf, der plötzlich durch die Türöffnung lugte.
»Hast du gefrühstückt?«
»Bis nachher!«
»Frühstück!«
Sie seufzte demonstrativ und ließ sich auf ihren Stuhl zurücksinken. Die hohe Lärche vor dem Fenster zog ihr Frühlingskleid an, noch vor dem Nationalfeiertag würde sie strahlendgrün sein.
»Ist Astrid abgehauen?«
Ein weiterer und womöglich noch struppigerer Kopf starrte sie sauer an.
»Du gehst erst, wenn du gefrühstückt hast.«
»Aber ich muß jetzt wirklich los.«
Auf das Knallen der Wohnungstür folgte ein Vakuum der Stille, und sie wußte nicht, ob dieses Vakuum ihr gefiel oder ob sie es lieber mit etwas anderem gefüllt hätte. Sie brauchte nicht lange darüber nachzudenken. Ihr Mobiltelefon stand in der Lademulde, starrte sie aus einem bösen grünen Auge an und schien genau zu wissen, welche Überwindung es sie kostete, es zu benutzen.
Sie wußte die Nummer auswendig.
»Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen«, sagte sie mürrisch, als sich am anderen Ende der Leitung endlich jemand meldete.
»Danke der Nachfrage«, lautete die zuckersüße Antwort. »Es war der holde Schlaf der Gerechten.«
»Sowas können Sie doch einfach nicht schreiben«, explodierte Ruth-Dorthe Nordgarden. »Ausgerechnet Sie schreiben so über mich, wo Sie doch …«
»Wo ich was? Wo ich so gute Hilfe an Ihnen hatte, meinen Sie? Aber ist das denn nicht im Dienste der Pressefreiheit passiert?«
»Sie wissen ganz genau, was ich meine.«
»Nein, ehrlich gesagt, das weiß ich nicht. Sie haben mir den Bericht der Kommission geschickt. Und zwar freiwillig. Ich habe Ihnen keinerlei Gegenleistungen versprochen.«
»Aber Sie haben doch … Sie haben doch meinen guten Ruf ruiniert! Und vielleicht nicht nur meinen, sondern den der ganzen Regierung! Man muß sich doch nur anschauen, was Aftenposten heute geschrieben hat! Daß …«
Sie raschelte mit ihren vielen Zeitungen.
»Hier. ›Mit tiefem Bedauern müssen wir feststellen, daß sich in unserer größten Partei die Kultur der Seilschaften einfach nicht ausrotten läßt. Der einzige Unterschied zu früher scheint zu sein, daß die Seilschaften damals auch Walter Ulbricht einbezogen haben. Wir wissen wirklich nicht, was schlimmer ist.‹«
Sie warf die Zeitung auf den Boden.
»Im Leitartikel! Was haben Sie da bloß angerichtet, Frau Lettvik? Wir hatten doch eine Abmachung.«
»Irrtum. Wir hatten keine Abmachung. Ich habe Ihnen geholfen, wenn mir das angebracht erschien. Und Sie mir. Daß diese gegenseitigen Nettigkeiten nun leider ein Ende haben müssen, buchen wir auf dem Konto für freie Presse und lebendige Demokratie. Dafür sind wir doch beide, oder?«
»Ich …«
Sie mußte sich zusammenreißen und verstummte. Ihre Kopfschmerzen dröhnten wieder, und ihr war schlecht.
»Ich werde in meinem ganzen Leben kein Wort mehr mit Ihnen reden«, flüsterte Ruth-Dorthe ins Telefon.
Aber dort hörte sie nur ein Summen, das sich für dieses zu spät abgelegte Versprechen nicht zu interessieren schien.
Das Telefon klingelte, und sie fuhr zusammen.
»Hallo?«
Das Mobiltelefon war mausetot, aber trotzdem klingelte es weiter.
Verwirrt schaute sie sich im Zimmer um und preßte sich das Mobiltelefon an die Wange, wie ein tröstendes Schmusetuch in einer bösen Zeit.
Was da klingelte, war das andere Telefon, das schnurlose.
»Hallo«, versuchte sie es noch einmal, diesmal mit dem richtigen Hörer. »Ach, hallo, Tryggve. Ich wollte dich auch gerade anrufen. Ich würde gern mal mit dir über diesen Gesundheits … ach?«
Sie knabberte am Nagel ihres linken kleinen Fingers.
»Alles klar. Am Montag um vier. In deinem Büro. Aber da bin ich … egal. Ich komme. Um vier.«
Sie hatte den Nagel zu weit abgebissen, und ein brennender Schmerz jagte durch den Finger. Ein wenig Blut quoll hervor, und sie steckte die Fingerspitze in den Mund. Dann machte sie sich auf die Suche nach einem Pflaster.
14.27, Hauptwache Oslo
»Sieh an, sieh an«, sagte Severin Heger sanft und zufrieden.
Er versuchte, den Blick seines Gegenübers einzufangen, aber der junge Mann starrte seine Hände an und murmelte irgend etwas Unverständliches.
»Was haben Sie gesagt?« fragte der Polizist.
»Die hier sind doch wohl nicht notwendig«, sagte der Mann noch einmal und hielt ihm die Handgelenke hin. »Handschellen, hier im Haus.«
»Wenn Sie nicht auf dem Weg hierher an die zehn Fluchtversuche
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