Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Namen aus der russischen Zarenfamilie, und dann Truls«, flüsterte Hanne, als sie im Kinderzimmer nachsahen, ob alles in Ordnung war. »Ich wollte immer schon wissen, warum.«
»Seine Mutter meinte, er brauche einen echten, unbestreitbar norwegischen Namen.«
»Das ist aber ein dänischer.«
»Hä?«
»Truls. Das ist kein norwegischer Name, sondern ein dänischer.«
»Egal. Er ist doch sowieso nicht ganz wie alle anderen. Also brauchte er einen sozialdemokratischen skandinavischen Namen. Um nicht außen vor zu stehen, meine ich. Seine Mutter wollte das so. Ich habe doch erst von seiner Existenz erfahren, als er schon drei Monate alt war. Bis ich das Besuchsrecht hatte, hab ich eine ziemliche Hölle erlebt. Aber jetzt läuft alles gut.«
Truls war nicht wie die anderen. Er war schwarz. Billy T.s älteste Söhne sahen ihrem Vater sehr ähnlich: Sie hatten blonde Haare, eine klare Haut und große, hellblaue Augen. Peter, der zweitjüngste, hatte rote Haare und ein sommersprossiges Gesicht. Truls war schwarz, so dunkel, daß niemand auf einen weißen Vater getippt hätte. Doch wenn er die Mundwinkel zu einem schrägen Lächeln verzog, dann war er seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.
»Feine Kinder, Billy T. Das muß man dir lassen. Du machst feine Kinder.«
Hanne Wilhelmsen streichelte vorsichtig Nicolays Bettdecke und wollte Billy T. aus dem Zimmer ziehen.
Er wehrte sich und setzte sich auf das untere Bett, in dem Truls mit offenem Mund schlief. Seinen frisch eingegipsten Arm hatte er sich wie einen Schutzschild über die Augen gelegt.
»Ob er wohl Schmerzen hat, was meinst du?« flüsterte Billy T. »Merkt er das? Ob ich ihm ein Schmerzmittel geben sollte?«
»Du hast doch gehört, was der Arzt gesagt hat. Glatter, sauberer Bruch, heilt in drei Wochen, und du sollst ihm nur etwas geben, wenn er ganz eindeutig Schmerzen hat. Jetzt schläft er tief. Also kann es unmöglich sehr weh tun.«
»Aber er hält den Arm doch sonst nie so.«
Billy T. versuchte, den Arm neben die Decke zu legen, aber der Arm fuhr sofort zurück, und der Junge wimmerte leise.
»Ich hätte ihm ein Schmerzmittel geben sollen«, sagte Billy T. verzweifelt.
»Du hättest dieses Rennen unter der Zimmerdecke nicht veranstalten dürfen. Oder zumindest etwas auf den Boden legen sollen, Matratzen oder so. Siehst du nicht, daß Truls viel schmächtiger ist als die anderen? Er wird nie im Leben so groß wie du.«
»Er ist eben der Jüngste«, sagte Billy T. mürrisch. »Er ist so klein, weil er erst sechs ist. Er wird noch wachsen. Warte nur.«
»Er ist kleiner als die anderen, Billy T. Und er ist dein Junge, auch wenn er kein athletisches Ungeheuer ist. Jetzt hör endlich auf.«
»Seine Mutter wird mich umbringen, wenn sie den Arm sieht«, murmelte er und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. »Sie findet, ich springe zu hart mit ihm um.«
»Tust du ja vielleicht auch«, flüsterte Hanne. »Komm jetzt.«
Er wollte nicht. Er blieb auf der Bettkante sitzen, gebückt und mit gesenktem Kopf, weil der Abstand zum Bett darüber einfach nicht groß genug war. Dann ließ er seine Hand vorsichtig von seinem Gesicht auf den Kopf des Jungen sinken. Immer wieder streichelte er die schwarzen, wolligen Locken.
»Wenn ihm etwas Schlimmes passiert«, sagte er leise. »Wenn einem von meinen Kindern etwas Schlimmes passiert, dann weiß ich nicht, was ich …«
Hanne setzte sich vorsichtig auf Peters Bett und schob den Jungen behutsam zur Seite. Ein kreideweißer Arm mit Myriaden von Sommersprossen legte sich auf die Decke; der Junge hustete im Schlaf und runzelte die Stirn.
»Überleg mal, wie das für Birgitte Volter gewesen sein muß«, sagte sie und schob den Arm des Jungen unter die Decke, denn es war kühl im Schlafzimmer, und seine Haut fühlte sich kalt an.
»Birgitte Volter?«
»Ja. Zuerst, als ihr Kind gestorben ist. Und dann, als über dreißig Jahre später alles wieder aufgewühlt wurde. Ich glaube …«
Im oberen Bett bewegte Alexander sich.
»Papa.«
Billy T. sprang auf und fragte den Jungen, was er wolle. Alexander kniff im Licht, das durch die geöffnete Tür hineinfiel, die Augen zusammen.
»Durst«, murmelte er. »Cola.«
Billy T. grinste und gab Hanne ein Zeichen, ins Wohnzimmer zu gehen. Er holte für den Jungen ein Glas Wasser und ließ sich gleich darauf neben Hanne auf das blaue Sofa fallen.
»Was glaubst du?« fragte er und griff nach der Bierdose, die sie ihm reichte. »Du hast vorhin irgend etwas
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