Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Schultern und ließ sich ihm gegenüber in einen Sessel fallen. Roy setzte sich aufs Sofa, plötzlich nüchtern, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und beugte sich vor, als sei er auf dem Sprung.
»Jetzt hörst du auf, mich zu bestrafen«, sagte er. »Findest du nicht, daß es bald reicht?«
Der Sohn sagte nichts dazu, er machte sich an einem großen Tischfeuerzeug aus Zinn zu schaffen, das jedoch leer war und lediglich ein leises, sinnloses Zischen hören ließ.
»Es geht mir ganz schrecklich, Per. Genau wie dir. Ich sehe, daß du leidest, und ich würde alles tun, um dir zu helfen. Aber du bestrafst mich nur und stößt mich weg. Wir wissen beide, daß das so nicht weitergehen kann. Wir müssen irgendeine … irgendeine Möglichkeit finden, um miteinander zu sprechen.«
»Und was würdest du mir dann sagen?« fragte der Junge plötzlich und unerwartet und schlug mit dem Feuerzeug auf den Tisch.
Roy ließ sich auf dem Sofa zurücksinken und legte die Hände in den Schoß. Mit seinem gesenkten Kopf und den ineinander verflochtenen Fingern schien er eine höhere Macht um Hilfe anzuflehen.
»Ich würde wohl sagen, wie traurig ich bin. Ich würde um Verzeihung bitten. Für die Sache im letzten Herbst. Das mit …«
»Ruth-Dorthe Nordgarden«, sagte Per giftig. »Aber nicht mich solltest du um Verzeihung bitten, sondern Mama! Die hättest du um Vergebung anflehen müssen. Aber davon hatte sie sicher keine Ahnung.«
»Da irrst du dich.«
Roy Hansen steckte sich noch eine Zigarette an. Als er daran zog, schnitt er eine unzufriedene Grimasse; er schien erst jetzt zu merken, wie scheußlich es schmeckte. Aber er rauchte trotzdem weiter.
»Deine Mutter hat alles gewußt. Es war das einzige Mal in unserer Ehe, daß ich so etwas getan habe. Ich weiß nicht, warum es passiert ist, es ist einfach …«
Er stieß den Rauch durch die Nase aus und sah seinem Sohn ins Gesicht.
»Es kommt mir nicht richtig vor, dir das zu erklären. Aber du sollst wissen, daß ich Birgitte alles erzählt habe. Als sie von dieser Tagung in Bergen zurückkam. Ich saß hier auf dem Sofa, bis sie nach Hause kam. Um zwei Uhr nachts, sie war zuerst noch im Büro gewesen, und als sie nach Hause kam, habe ich ihr alles erzählt.«
Per starrte seinen Vater mit einer Miene an, die ver-riet, daß er das soeben Gehörte nicht für die volle Wahrheit hielt.
»Aber … was hat sie denn gesagt?«
»Das geht nur deine Mutter und mich etwas an. Aber sie hat mir verziehen. Nach einer Weile. Lange vor ihrem Tod. Das solltest du auch tun. Ich wünschte, du könntest mir verzeihen, Per.«
Eine Weile blieben sie schweigend im Halbdunkel sitzen. Draußen rauschte der Regen. Eine Dachrinne war seit kurzem leck, das Wasser sprudelte wie ein Wasserfall über die Nordwestecke des Hauses. In der Ferne bellte ein großer Hund. Er bellte tief und warnend und übertönte damit sogar den strömenden Regen. Zugleich erinnerte das heftige Kläffen sie daran, daß es draußen etwas gab, etwas, zu dem sie gehörten und mit dem sie bald wieder konfrontiert sein würden.
»Wenn ich im Herbst wieder nach Hause ziehe, möchte ich mir gern einen Hund zulegen«, sagte Per plötzlich.
Roy merkte, wie ihn eine unbeschreibliche Müdigkeit überkam. Ihm war schwindlig, und er konnte kaum die Augen offenhalten.
»Natürlich kannst du einen Hund haben«, sagte er und versuchte zu lächeln, doch selbst das erforderte einen nahezu unmöglichen Kraftaufwand. »Willst du einen Jagdhund?«
»Mmm. Ich glaube, einen Setter. Stimmt das wirklich?«
»Ja, natürlich kannst du einen Hund haben. Du bist erwachsen und entscheidest selber.«
»Das meinte ich nicht. Hast du es Mama wirklich erzählt?«
Roy drückte seine Zigarette aus und hüstelte.
»Ja. Deine Mutter und ich … wir hatten nicht viele Geheimnisse voreinander. Einige gab es natürlich. Aber nicht viele. Und nicht solche.«
Per stand auf und ging in die Küche. Roy blieb sitzen, noch immer mit geschlossenen Augen. Sein Junge war wieder da. Und im Herbst würde er wieder zu ihm ziehen. Hierher, in das Haus, in dem die kleine Familie seit Pers Geburt gelebt und sich gestritten und geliebt hatte.
Vielleicht war er eingeschlafen. Auf jeden Fall schien nur eine Sekunde vergangen zu sein, als plötzlich mit einem Klirren ein Teller auf den Tisch gestellt wurde.
»Kann ich eins haben?« fragte Roy.
Per gab keine Antwort, schob aber den Teller mit den Broten einige Zentimeter auf ihn zu.
»Wie war sie eigentlich?«
Weitere Kostenlose Bücher