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Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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fragte Per.
    »Mama? Birgitte?«
    Roy war verwirrt.
    »Nein. Liv. Meine Schwester. Wie war sie?«
    Roy Hansen legte sein unangebissenes Brot auf den Tisch. Er kratzte sich am Bauch und fühlte sich plötzlich hellwach.
    »Liv war wunderbar.«
    Er lachte kurz und leise.
    »Das sagen sicher alle über ihre Kinder. Aber sie war so … so klein! So winzig und zart. Ganz anders als du. Du warst … du warst so sehr Junge. Groß und stark. Wenn du Hunger hattest, hast du vom ersten Tag an geschrien wie ein Schwein. Liv war … sie hatte Lachgrübchen und blonde Haare. Ja, ich glaube … ja, sie waren blond. Beinahe weiß.«
    »Haben wir irgendwo ein Bild von ihr?«
    Langsam schüttelte Roy den Kopf.
    »Es gab jede Menge Bilder«, sagte er nach einer Weile. »Benjamin Grindes Vater, ja, du weißt schon … Also, der Vater war Fotograf, und sie wohnten direkt neben Oma und Opa, und da wohnten ja auch Birgitte und ich, in den ersten beiden Jahren, ehe wir … es gab jede Menge Bilder. Ich glaube, Birgitte hat sie alle verbrannt. Ich habe jedenfalls nie mehr eins gesehen. Aber …«
    Er schaute zu seinem Sohn hinüber, der die Brote ebenfalls noch nicht angerührt hatte und ihn mit einer fragenden, fast verlegenen Miene musterte.
    »Vielleicht liegen noch welche auf dem Dachboden«, sagte Roy dann. »Ich werde demnächst alles in Ruhe durchsehen. Ein wenig aufräumen. Ich glaube, ich gehe auch bald wieder zur Arbeit. Am Dienstag oder Donnerstag vielleicht. Wann mußt du zurück in die Schule?«
    »Bald.«
    Schweigend aß jeder drei Brote, und sie tranken Milch und Kaffee. Ab und zu wechselten sie einen Blick. Jedesmal lächelte Roy, jedesmal wandte Per den Blick ab. Aber das Böse war nicht mehr da. Sein haßerfüllter Blick war verschwunden. Draußen steigerte sich das Unwetter, der Regen trommelte hart und wütend gegen das große Fenster zum Garten.
    »Wo ist sie begraben, Papa? Liv, meine ich. Hat sie einen Grabstein?«
    »Auf Nesodden. Wir können ja mal hinfahren.«
    »Bald, ja? Sehr bald?«
    »Bald, mein Junge. Bald.«
    Als der Junge schlafen ging, wünschte er seinem Vater nicht gute Nacht. Aber bald würde er das wieder tun.

Montag, 21. April 1997
    9.00, Hauptwache, Oslo
    Seltsamerweise gefielen Billy T. die Vollversammlungen inzwischen. Normalerweise haßte er diese Art von Besprechungen, aber es war im Grunde gar nicht schlecht, daß sich die Leiter so vieler Ermittlergruppen zweimal die Woche trafen. So konnten sie Fäden sammeln und ihr weiteres Vorgehen koordinieren, und außerdem war es inzwischen auch möglich, bei diesen Treffen zu diskutieren. Alle machten mit, sogar Tone-Marit Steen. Warum, wußte niemand so recht, schließlich leitete sie keine Untersuchungsgruppe, jedenfalls nicht offiziell, aber sie hatte in gewisser Weise eine Funktion übernommen, die zu ihr paßte. Sie war beredt, gründlich und hatte den Überblick. Niemand brachte gegen ihr Auftauchen Einwände vor.
    Der einzige, der in der Regel kurz angebunden war und den anderen etwas zu verschweigen schien, war der Überwachungschef. Aber etwas anderes wäre wohl auch nicht zu erwarten gewesen. An diesem Tag war die Generalstaatsanwältin anwesend, aber Billy T. beschloß, sich von dem mürrischen, unfreundlichen Verhalten der seiner Meinung nach starrköpfigsten Frau der Welt nicht den Tag verderben zu lassen. Sie war tüchtig, langweilig und stur und hatte es zu einer Tugend werden lassen, sich von keiner anderen Meinung irgendeines Menschen beeindruckt zu zeigen. Egal, wie diese Meinung aussehen mochte. Jetzt blätterte sie in ihren Unterlagen, blickte Billy T. sauer an, als er den Raum betrat, und gönnte ihm nicht einmal ein kleines Nicken. Ihm war das nur recht, das konnte er auch, und er grüßte sie ebenfalls nicht.
    Er goß aus einer Thermoskanne Wasser in eine weiße Tasse mit dem Aufdruck »Staatliche Kantinen«. Den Teebeutel ließ er genau anderthalb Minuten darin liegen und schaute auf die Uhr, ehe er ihn mit den Fingern ausdrückte und in den Papierkorb in der Ecke warf. Das Wasser war nur lauwarm, der Tee schmeckte nach nichts.
    Endlich hatten alle sich eingefunden, nur Polizeiinspektor Håkon Sand fehlte noch. Niemand hatte etwas von ihm gehört oder gesehen, und sie waren schon zehn Minuten zu spät dran. Der Polizeipräsident wollte nicht mehr warten.
    »Die letzte Woche hat uns einige Überraschungen gebracht«, sagte er. »Billy T. Fängst du an?«
    Billy T. stellte die Teetasse weg und trat ans Ende des Tisches. Er

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