Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
über Volter gesagt.« Er rülpste leise und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Das tote Kind. Überleg doch mal, wie sie gelitten haben muß. Aus irgendeinem Grund werde ich den Gedanken nicht los, daß dieser Tod etwas mit dem Fall zu tun haben muß. Aber dann …«
Billy T. griff zur Fernbedienung, die vor ihnen lag, um Musik einzuschalten. Hanne nahm sie ihm gerade noch rechtzeitig aus der Hand und legte sie außer Reichweite.
»Also wirklich, Billy T.«, sagte sie ärgerlich. »Selbst du mußt doch einmal ein Gespräch führen können, ohne daß im Hintergrund zweihundert Dezibel aus den Lautsprechern dröhnen.«
Er sagte nichts, sondern nahm einen großen Schluck Bier.
»Vielleicht sollten wir genauer feststellen, wie Birgitte ihr Leben gesehen hat«, sagte Hanne leise. »Wie hat sie die letzten Tage ihres Lebens erlebt? Das müßten wir feststellen. Statt wild herumzufragen, wie es allen anderen zum Zeitpunkt der Tat zumute war. Wir müßten feststellen, was diese Bemerkungen auf der Liste bedeuten. ›Neue Person‹ mit Fragezeichen, war das nicht so? Und was war noch das andere?«
Billy T. schien nicht richtig zugehört zu haben.
»Aber der Wächter«, sagte er in die Luft hinein. »Nach allem, was Severin mir gestern erzählt hat, bin ich verdammt sicher, daß der Wächter auf irgendeine Weise mit der Sache zu tun hat. Und dann ist es ziemlich unwichtig, ob diese Birgitte glücklich war oder nicht.«
»Jetzt bist du gemein. Noch vor ein paar Minuten wärst du fast durchgedreht bei der Vorstellung, deinem eigenen Kind könnte etwas passieren, und jetzt läßt es dich eiskalt, daß Birgitte Volter diesen Albtraum am eigenen Leib erleben mußte. Fehlendes Einfühlungsvermögen nennt man so was. Du brauchst eine Therapie!«
»Du!«
Er kniff sie in den Oberschenkel.
»Du hast jede Menge Einfühlungsvermögen, das kann ich dir sagen, aber wir kommen nicht weiter, wenn wir uns bei unseren Ermittlungen in Gefühle verrennen.«
»Doch«, sagte Hanne Wilhelmsen und schob seine Hand weg. »Ich glaube, nur so können wir der Sache auf den Grund gehen. Wir müssen wissen, wie ihr zumute war, was sie wirklich empfand, wie ihr Leben an diesem Tag ausgesehen hat. Am 4. April 1997. Und dann müssen wir feststellen, welche Rolle der Wächter bei der ganzen Sache gespielt hat.«
»Und wie sind Eure Majestät eigentlich auf diese Gedanken gekommen?« fragte er und stand auf, um sich ein Stück Brot zu holen. »Willst du eins mit Makrele?«
Sie gab keine Antwort, sondern sagte:
»Ich habe ganz stark das Gefühl, daß der Tod ihres Kindes mehr mit dem Fall zu tun hat als der Gesundheitsskandal insgesamt. Ich glaube, wir starren uns an den anderen toten Babys nur blind. Außerdem hast du mit dem Wächter schon recht. Irgend etwas stimmt nicht mit ihm. War er Jahrgang 1965?«
»Nein. Er war viel jünger.«
»Der alte Mann hatte recht.«
»Hä?« fragte Billy mit dem Mund voller Brot und Makrele.
»Der alte Mann im Park. Vergiß es. Ich glaube, ich will doch ein Brot. Und ein Glas Milch.«
»Mußt du wissen«, murmelte Billy T. und öffnete noch eine Dose Bier.
23.15, Ole Brumms vei 212
»Kannst du dich nicht setzen, Per?«
Die Stimme war heiser vom Whisky und den vielen Zigaretten, und beim Aufstehen mußte er sich auf die Armlehne stützen. Er hätte nicht soviel trinken dürfen. Andererseits suchte er doch einen Ausweg aus den vielen Schmerzen, und nichts anderes bisher hatte geholfen. Der Arzt hatte ihm vor zwei Tagen Valium verschrieben, aber das ging ihm denn doch zu weit. Er wollte keine Tabletten nehmen. Ein Whisky war da schon weniger gefährlich. Inzwischen hatte er sechs getrunken.
Per musterte ihn voller Verachtung. Der Junge trug seinen Trainingsanzug, obwohl er unmöglich vom Joggen kommen konnte. Roy Hansen hatte vor sechs Stunden seinen Sohn türenschlagend das Haus verlassen hören.
»Säufst du?« fragte Per mit schneidender Stimme. »Das hat uns ja gerade noch gefehlt!«
Jetzt reichte es. Roy Hansen schlug mit der Faust gegen die Wand und stieß dabei eine Stehlampe neben dem Sofa um, und der gläserne Lampenschirm zersprang in tausend Stücke.
»Jetzt setzt du dich«, schrie er und rieb sich die Brust, als versuche er, sich auf diese Weise unter seinen Kleidern zusammenzureißen; er trug sie schon zwei Tage zu lange, und gebügelt waren sie auch nicht. »Jetzt setzt du dich und redest mit mir!«
Per Volter starrte seinen Vater verdutzt an, dann zuckte er mit den
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