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Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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zuhörten. »Düster und sehr interessant. Der Unterschied zwischen uns allen, die wir ab und zu in schweren Stunden mit dem Gedanken spielen, uns das Leben zu nehmen …«
    Er lächelte, ein bisher unbekanntes, jungenhaftes Lächeln; Tone-Marit fand ihn plötzlich anziehend in seinem frischgebügelten Uniformhemd, dessen Ärmel er gegen alle Vorschriften hochgekrempelt hatte. Er hatte etwas jungenhaft Maskulines, etwas Lässiges und zugleich sehr Starkes.
    »Der Unterschied zwischen uns und den anderen ist, daß wir uns darüber Gedanken machen, wie ein solcher Todesfall die Menschen treffen würde, die uns nahestehen«, sagte er leise. »Wir sehen, welch entsetzliche Tragödie er für sie wäre. Also beißen wir die Zähne zusammen, und einige Monate später sieht das Leben schon etwas besser und heller aus. Aber …«
    Er stand auf und ging zum Fenster. Der Regen hatte nachgelassen, doch die Wolkendecke hing noch immer grau und feucht über dem riesigen graugrünen Rasen im Dreieck zwischen Polizeihaus, Gefängnis und Grønlandsleiret. Der Polizeipräsident schien nach einem bestimmten Code im Regentropfenmuster auf der Fensterscheibe zu suchen, als er sagte:
    »Aber der echte Selbstmordkandidat denkt anders. Er glaubt, daß das Leben für diejenigen, die ihn lieben, besser wird, wenn er sich für den Tod entscheidet. Er empfindet sich als Belastung. Nicht unbedingt, weil er etwas falsch gemacht hat, sondern weil sein Schmerz so … so unerträglich wird, daß er auf die anderen übergreift und auch ihnen das Leben unerträglich macht. Das glaubt er zumindest. Und nimmt sich das Leben.«
    »Himmel«, rief Billy T. spontan, er hatte noch nie das Wort »lieben« aus dem Munde eines seiner Vorgesetzten gehört.
    »Sehen Sie sich diesen Grinde an«, fuhr der Polizeipräsident fort und ließ sich durch Billy T.s Zwischenruf nicht stören. »Ein erfolgreicher Mann. Sehr tüchtig. Überall geachtet. Er hat viele Interessen, er hat gute Freunde. Und dann passiert irgend etwas. Etwas so Entsetzliches, daß … Er muß seinen Entschluß nach ruhiger Überlegung gefaßt haben – er hat sich selbst die Medikamente besorgt, hat sorgfältig aufgeräumt … der Schmerz war offenbar unerträglich. Aber was hatte diesen Schmerz verursacht?«
    Er fuhr herum und breitete die Arme aus, wie zu einer kollektiven Einladung zur Nennung von Selbtmordmotiven eines Mannes, über den sie im Grunde nicht sehr viel wußten.
    »Sie haben nichts von Ehre gesagt«, sagte Billy T. leise.
    »Wie bitte?«
    Der Polizeipräsident starrte ihn an, etwas brannte in seinen Augen, und Billy T. bereute schon, den Mund aufgemacht zu haben.
    »Ehre«, murmelte er aber trotzdem. »Wie in Madame Butterfly.«
    Der Polizeirat riß den Mund auf und schien keine Ahnung zu haben, wovon hier die Rede war.
    »In Ehren stirbt, wer nicht länger in Ehren leben kann. Oder so«, sagte Billy T.
    Als er merkte, daß er weiterreden durfte, hob er die Stimme.
    »Wenn die Spitzen der Gesellschaft mit den Fingern im Marmeladenglas oder mit heruntergelassener Hose erwischt werden, nehmen sie sich ja bisweilen das Leben. In der Regel denken wir uns dann unser Teil, nicht wahr? Wir denken, daß es demjenigen peinlich war, der Sturz wäre zu tief und so weiter. In der Regel erscheint ein solcher Selbstmord uns als Schuldgeständnis. Jemand hat etwas Entsetzliches verbrochen und kann der Welt nicht mehr ins Auge schauen. Aber es muß nicht … es braucht nicht immer so zu sein. Vielleicht kommt es vor, daß jemand einfach nicht mit einer Schande leben kann, selbst wenn er gar nicht schuldig ist.«
    »Es kann ja auch sein«, wagte Tone-Marit Steen, ihn zu unterbrechen, »daß der Selbstmordkandidat etwas getan hat, das vielleicht … das vielleicht moralisch falsch, aber nicht unbedingt strafbar ist. So gesehen kann dieselbe Tat von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich bewertet werden, manche reagieren höchstens mit einem Schulterzucken darauf, für einen anderen dagegen, der besonders hohe moralische Maßstäbe hat, ist sie …«
    »Mit Verlaub, Herr Polizeipräsident!«
    Überwachungschef Ole Henrik Hermansen, der bisher ziemlich gelassen seine Fingernägel inspiziert hatte, schlug mit der Faust auf den Tisch.
    »Ich finde es wenig sinnvoll, hier mehr oder weniger vage Überlegungen über das Rätsel des Selbstmordes anzustellen, während wir so viel zu tun haben. Es muß ja wohl Grenzen geben!«
    Seine Mundwinkel zuckten, seine Gesichtshaut hatte eine dunklere

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