Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Farbe angenommen als sonst. Er wippte heftig mit den Füßen und starrte den Polizeipräsidenten herausfordernd an.
Der Polizeipräsident lächelte. Es war ein so herablassendes Lächeln, daß nicht einmal der Polizeirat daran zweifeln konnte, daß es sich um eine Zurechtweisung handelte, noch dazu um eine ziemlich arrogante. Der Überwachungschef war jetzt tiefrot und sprang auf, um noch mehr zu sagen.
»Wenn wir diese hochfliegenden Theorien mal beiseite legen würden«, sagte er, wobei seine Stimme beinahe ins Falsett umgeschlagen wäre, »dann könnte ich allerlei erzählen.«
Die anderen tauschten Blicke. Das waren ganz neue Töne. Vielleicht war diese philosophische Erörterung des tieferen Charakters von Selbstmordfällen nötig gewesen. Immerhin wollte Ole Henrik Hermansen plötzlich reden!
»Bitte sehr«, sagte der Polizeipräsident, lächelte jedoch noch immer.
»Dann möchte ich mich zuerst entschuldigen«, sagte Hermansen und strich sich einige Haarsträhnen glatt. »Ich weiß ja, daß sich hier manche … unterinformiert gefühlt haben, um es mal so zu sagen. Ich möchte dafür um Verständnis bitten. Wir wissen alle, daß diese Wache leider nicht dicht ist. Immer sickert etwas an die Presse durch. Wir mußten diese Informationen für uns behalten.«
Er schob seinen Stuhl nach hinten und ging ans Tischende.
»Wenn ich es jetzt für notwendig halte, mich ausführlicher zu äußern, dann ist es, weil ich finde, daß diese Ermittlungen … gewissermaßen in alle Richtungen auseinanderlaufen. Während wir eigentlich vor etwas stehen, das wir für einen Durchbruch halten.«
»O verdammt«, rutschte es Billy T. heraus.
Der Ausflug des Polizeipräsidenten in die höheren Ebenen des Daseins war spannend gewesen. Aber nichts war besser als eine handfeste Spur.
»Das bedeutet also«, fuhr Hermansen fort, »daß wir die größtmögliche Vorsicht walten lassen müssen, was die nun folgenden Informationen betrifft. Wenn das hier herauskommt, riskieren wir, daß unsere gesamten Ermittlungen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen und wir mit leeren Händen dastehen.«
»Ungefähr wie bisher also«, murmelte Billy T., hielt aber den Mund, als Tone-Marit ihm einen harten Tritt gegen das Schienbein verpaßte.
»Es ist interessant, daß es im letzten Gespräch, das Birgitte Volter vor ihrem Tod geführt hat, offenbar um diesen Fall ging, der inzwischen allgemein als Gesundheitsskandal bezeichnet wird. Wir haben in den vergangenen Tagen nicht ohne ziemliches Interesse die Berichterstattung der Zeitungen mitverfolgt.«
Mehr tut ihr ja auch nicht, dachte Billy T., verdammt, ihr tut ja nichts anderes als Zeitung lesen, ausschneiden, einkleben und sammeln.
Aber er hielt klüglich den Mund, Tone-Marits Blick war nicht mißzuverstehen.
»Das meiste, was im Moment geschrieben wird, wußten wir allerdings schon. Und wir wissen noch viel mehr.«
Hermansen gönnte sich eine Kunstpause. Er genoß diesen Moment. Alle starrten ihn aufmerksam an. Endlich hatte jemand etwas Konkretes.
»Einige alliierte Staaten unterhielten in den Jahren 1964 und 1965 gewisse Handelsverbindungen zur DDR«, sagte Hermansen mit lauter Stimme und wanderte vor seinem Publikum hin und her. »Das war Bestandteil einer größeren Operation unter Führung der USA, die zu einem Gefangenenaustausch zwischen Ost und West führen sollte. Die DDR stellte die Bedingung, Mangelwaren einführen und ihre eigenen Produkte in den Westen ausführen zu dürfen. Auf diese Weise erhielten sie Waren und Valuta.«
Billy T. begriff nicht, worauf das hinauslaufen sollte, und trommelte ungeduldig auf dem Tisch herum, bis ein Blick des Polizeipräsidenten ihn aufhören ließ.
»Norwegen war bereit, Eisenerz zu exportieren und pharmazeutische Produkte zu kaufen. Damals überquerten die verschiedenden Waren die Grenzen zwischen Ost und West, aber darauf brauchen wir nicht näher einzugehen. Wichtig ist, daß das alles in Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten, den USA, geschah und einem sehr guten Zweck dienen sollte: westliche Agenten und festgenommene Diplomaten freizubekommen. Die USA betrieben solche Geschäfte natürlich in einem viel breiteren Rahmen als wir, obwohl das gegen die Truman-Doktrin verstieß, und natürlich wurde nicht laut darüber geredet. Aber wir dürfen nicht vergessen …«
Der Überwachungschef setzte sich auf eine Stuhllehne und stellte die Füße auf den Sitz, was jungenhaft und etwas wichtigtuerisch aussah.
»Die DDR war vom
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