Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Westen damals noch nicht als selbständiger Staat anerkannt worden. Das geschah erst 1971. Die DDR war ein geschlossenes System, und das schlimmste war aus unserer Sicht, daß sie nicht bezahlen konnten.«
Jetzt hob der Polizeipräsident die Augenbrauen.
»Aber«, warf er vorsichtig ein, »sie hatten doch eine Art Währung?«
»Natürlich hatten sie das. Aber was war die DDR-Mark schon wert? Rein gar nichts. Die beste Lösung für uns war, Waren zu tauschen. Die USA hatten es da schwerer. Die DDR wollte nämlich Geld, und die USA haben ihre Leute ganz einfach freigekauft. Für teures Geld und außerdem auf Kosten eines ihrer wichtigsten außenpolitischen Prinzipien: Nur mit solchen Systemen Geschäfte zu machen, die ihren Bürgern politische Rechte und allgemeine Menschenrechte gewähren.«
»Als ob sie sich jemals daran gehalten hätten«, murmelte Billy T., aber wieder wurde das von allen ignoriert. »Was zum Teufel hat das mit dem Mord an Birgitte Volter zu tun?«
»Der damalige Überwachungschef war natürlich nicht in diese geschäftlichen Verbindungen verwickelt«, fuhr Hermansen unangefochten fort. »Aber er wurde fortlaufend informiert. Das mußte so sein, da wir einige DDR-Bürger im Auge behalten mußten. Ich brauche wohl niemandem zu erzählen, daß wir noch etliche Akten aus jener Zeit haben …«
Er sprang vom Stuhl und lief wieder im Zimmer hin und her.
»Heute dagegen interessiert uns ein DDR-Bürger, über den wir damals keine Akte angelegt haben. Genauer gesagt, ein Ex-DDR-Bürger. Kurt Samuelsen, geboren im Januar 1942 in Grimstad. Die Mutter war Norwegerin, sie hieß Borghild Samuelsen. Sein Vater war ein Wehrmachtssoldat, dessen Namen wir nicht kennen. Der Junge kam gleich nach seiner Geburt in ein Waisenhaus und wurde ein Jahr darauf im Rahmen des Lebensborn-Programms nach Deutschland geschickt. Dann …«
Plötzlich unterbrach Hermansen sein ruheloses Hin- und-her-laufen. Er blieb breitbeinig stehen und verschränkte zu allem Überfluß die Hände auf dem Rücken.
»Nach dem Krieg befand Kurt Samuelsen sich in der Ostzone. Niemand hörte von ihm, niemand fragte nach ihm. Die Mutter machte zwar um 1950 einen zaghaften Versuch, aber kaum jemand wollte einer Frau helfen, die 1945 als Soldatenliebchen kahlgeschoren worden war und dann drei Monate im Gefängnis gesessen hatte. 1963, auf einer Studienreise nach Paris, springt unser Freund Kurt Samuelsen ab. Er ist ein einundzwanzigjähriger vielversprechender Chemiestudent, der in der norwegischen Botschaft auftaucht und sich als Norweger ausgibt. Er kann beweisen, daß er wirklich Kurt Samuelsen ist. Er reist nach Norwegen und ist mit seiner Mutter wieder vereint, kein Auge bleibt trocken. Selbst hartgesottene Widerständler konnten sich inzwischen über eine rührende Wiedervereinigung zwischen Mutter und Kind freuen. Egal. Kurt Samuelsen studierte danach in Oslo. Er war sehr tüchtig und machte mit nur vierundzwanzig Jahren Examen. In Pharmakologie, wohlgemerkt, nicht in Pharmazie. Er sprach schon nach einem halben Jahr perfekt Norwegisch, was den Glauben der Mutter nur untermauerte, daß ihr verlorener Sohn zurückgekehrt sei.«
Der Überwachungschef unterbrach sich plötzlich und steckte sich, ohne um Erlaubnis zu bitten, eine Zigarette an. Er zog einen Reiseaschenbecher aus der Tasche und stellte ihn vor sich auf den Tisch. Er machte einen Lungenzug, lächelte zufrieden und erzählte weiter.
»Bisher ist also alles Friede, Freude, Eierkuchen. Aber Kurt Samuelsen ging schon 1968 in die DDR zurück. Ohne sich von seiner Mutter zu verabschieden. Und seitdem hat niemand von ihm gehört.«
Jetzt schwieg sogar Billy T. und begnügte sich mit einem leichten Zungenschnalzen.
»Es stört mich wirklich sehr, wenn Sie rauchen«, sagte Tone-Marit plötzlich. »Könnten Sie bitte Ihre Zigarette ausmachen?«
Der Überwachungschef starrte sie beleidigt an, gehorchte dann aber.
»Nach dem Tod der Mutter 1972 konnten seine norwegischen Verwandten ihn nicht ausfindig machen. Inzwischen ist der Fall natürlich untersucht worden, und 1987 stießen westliche Nachrichtendienste in Bulgarien auf ihn. Inzwischen wissen wir, daß der Mann gar nicht Kurt Samuelsen war. In Wirklichkeit heißt er Hans Himmelheimer. Der echte Kurt Samuelsen hat nie einen Fuß aus Ostdeutschland herausgesetzt. Nicht einmal nach der Wiedervereinigung. Und jetzt kommen wir zum interessantesten Teil der ganzen Angelegenheit.«
Er ertappte sich dabei, daß er eine neue
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