Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
verstehen sicher, daß Sie für uns eine besonders wichtige Zeugin sind.«
Wenche Andersen, Sekretärin im Büro der Ministerpräsidentin, nickte kurz.
»Das spielt doch keine Rolle. Ich kann sowieso nicht schlafen. Das ist doch selbstverständlich. Fragen Sie nur.«
»Damit wir unsere Arbeit der letzten Nacht nicht noch einmal machen müssen, schlage ich eine kurze Zusammenfassung Ihrer Aussage vor. Bitte unterbrechen Sie mich, wenn etwas nicht stimmt.«
Wenche Andersen nickte und faltete die Hände auf ihrem Schoß.
»Birgitte Volter wollte ungestört sein, stimmt das?«
Die Frau nickte.
»Und Sie wissen nicht, warum. Sie hatte eine Besprechung mit Richter Grinde, der Termin stand seit einer Woche fest. Sie haben Frau Volter als letzte lebend gesehen. Aber Sie sagen …«
Tone-Marit blätterte in ihren Unterlagen und fand schließlich das Gesuchte.
»Sie sagen, sie sei Ihnen in letzter Zeit unruhig vorgekommen. Gestreßt, haben Sie gesagt. Könnten Sie das genauer beschreiben?«
Die Frau in Schwarz sah sie an und schien nach Worten zu suchen.
»Schwer zu sagen. Ich kannte sie ja noch nicht so gut. Sie war etwas … abweisend? Reizbar? Von beidem etwas. Ein wenig schroff irgendwie. Stärker als früher. Mehr kann ich Ihnen ganz einfach nicht sagen.«
Tone-Marit hielt Wenche Andersen eine Halbliterflasche Mineralwasser hin.
»Ja, bitte«, antwortete die und hob ihr Glas.
Die Polizeibeamtin starrte sie eine Weile an, so lange, daß das Schweigen peinlich wurde.
»Wie war sie eigentlich?« fragte sie plötzlich. »Was war sie für ein Mensch?«
»Birgitte Volter? Wie sie war? Sie war sehr pflichtbewußt. Sehr fleißig. In dieser Hinsicht war sie fast wie Gro Harlem Brundtland.«
Jetzt lächelte sie strahlend und zeigte dabei schöne, gepflegte Zähne.
»Sie hat von früh bis spät gearbeitet. War sehr umgänglich, hat immer klare Anweisungen erteilt. Sehr klare Anweisungen. Wenn etwas nicht richtig lief … Bei dem strengen Zeitplan einer Ministerpräsidentin passiert immer etwas Unvorhergesehenes, aber sie hat alles gelassen hingenommen. Und sie war ziemlich …«
Wieder suchte sie nach dem passenden Wort; ihr Blick wanderte durch das Zimmer, als suche sie die geeigneten Ausdrücke, die sich irgendwo versteckt hatten und nicht zum Vorschein kommen wollten.
»Warm«, rief sie endlich. »Ich würde sie wirklich als warm bezeichnen. Sie hat sogar an meinen Geburtstag gedacht, hat mir Rosen mitgebracht. Und fast immer hatte sie Zeit zu einem kurzen Gespräch über das Wetter oder so.«
»Aber wenn Sie etwas Negatives sagen sollten«, fiel die Polizeibeamtin ihr ins Wort. »Was würden Sie dann sagen?«
Die Frau spielte an ihrem Jackensaum herum und schlug die Augen nieder.
»Na ja, also, sie konnte ein wenig … ein wenig zu jovial sein. Ich durfte sie nicht Frau Ministerpräsidentin nennen, sie wollte unbedingt Birgitte genannt werden. Das war ungewohnt. Und nicht ganz korrekt, wenn Sie mich fragen. Außerdem war sie bisweilen ein ziemlicher Wirrkopf, in konkreten Dingen, meine ich. Sie vergaß immer ihre Schlüsselkarte und so. Hinter dieser ganzen Jovialität versteckte sich eine gewisse … wie soll ich sagen? Eine Art Reserviertheit? Nein, jetzt rede ich wohl ziemlich wirr.«
Sie sprach leise, flüsterte fast, und schüttelte resigniert den Kopf.
»Und weiter?«
»Eigentlich nichts weiter. Nichts von Bedeutung.«
Jemand klopfte an die Tür.
»Später«, rief Tone-Marit, und leichte Schritte entfernten sich über den Flur, als sie sagte: »Lassen Sie mich entscheiden, was von Bedeutung ist.«
Die Frau schaute ihr in die Augen und strich sich blitzschnell die Haare glatt, was überhaupt nicht nötig gewesen wäre.
»Nein, ehrlich gesagt kann ich nicht mehr dazu sagen. Höchstens eins noch, das ist mir heute nacht eingefallen. Oder, genauer gesagt, heute morgen. Vor einer Stunde. Aber mit dieser Sache hat es eigentlich nichts zu tun.«
Tone-Marit beugte sich vor, griff zu einem Kugelschreiber und ließ ihn zwischen Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand hin und her wippen.
»Letzte Nacht sollte ich das Büro der Ministerpräsidentin durchsuchen«, erzählte Wenche Andersen. »Ihre Kollegen wollten wissen, ob etwas fehlte. Das war, nachdem Birgitte … weggebracht worden war. Ich hatte sie ja gesehen. Als ich sie fand und später noch mal, als sie, über ihren Schreibtisch gebeugt, dasaß. Ich habe sie zweimal gesehen. Und …«
Ausdruckslos starrte sie auf den Kugelschreiber, der
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