Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Mittleren Osten. Während wir es in Wirklichkeit wahrscheinlich nur mit einem Verrückten zu tun haben. O verdammt, Tone-Marit, das darf keine norwegische Entsprechung zum Fall Palme werden. Wenn wir die Sache nicht in zwei Wochen knacken können, ist der Zug abgefahren. Darauf kannst du Gift nehmen.«
»Du bist jetzt müde, Billy T.«, sagte Tone-Marit. »Natürlich muß der Überwachungsdienst dabeisein. Die können schließlich einschätzen, ob wir eventuelle Androhungen von Anschlägen ernst nehmen müssen.«
»Ja, ich bin todmüde. Aber besonders viel Ahnung von Anschlägen können die nicht haben. Die Frau ist schließlich tot. Also …«
Er grinste und versuchte vergeblich, seine Beine zwischen den Stuhlreihen zu verstauen, schließlich mußte er seinen Vordermann bitten, ein wenig beiseite zu rücken.
Der Überwachungschef und der Polizeipräsident hatten sich ganz vorn im Saal an einen Tisch gesetzt, sie schauten die anderen an wie zwei Lehrer eine Klasse, von der sie nicht allzuviel halten. Der Polizeipräsident, der erst drei Monate zuvor auf diesen Posten befördert worden war, hatte Schmutzspuren im Gesicht und kratzte sich immer wieder die blauschwarzen Bartstoppeln. Seine Uniformjacke wies am Kragen einen fettigen Rand auf, und sein Schlips hing schief. Der Überwachungschef war nicht uniformiert, er war tadellos angezogen mit seinem beigen Sommeranzug, dem kreideweißen Hemd und dem einfarbig hellbraunen Schlips. Er starrte an die Decke.
»In der Operationszentrale ist ein Stab gebildet worden«, erklärte der Polizeipräsident ohne weitere Vorstellung oder Einleitung. »Zumindest während der nächsten Tage wird er dort bleiben. Es wird sich zeigen, wie es dann weitergeht.«
Es wird sich zeigen. Alle wußten, was eine solche Aussage bedeutete.
»Wir stehen wirklich mit leeren Händen da, verdammt noch mal«, flüsterte Billy T.
»Bisher haben wir nur sehr wenig Hinweise«, sagte der Polizeipräsident laut und erhob sich.
Er ging zu einem Overheadprojektor und legte eine Folie auf die Glasplatte.
»Bis jetzt haben wir achtundzwanzig Personen verhört. Und zwar die Personen, die, zeitlich und räumlich gesehen, mit dem Tatort in Verbindung gebracht werden können. Das Personal im Büro der Ministerpräsidentin, und zwar Politiker, Beamte und Büroangestellte. Sodann die Wächter im vierzehnten Stock und im Erdgeschoß. Und zwei von den … Gästen. Personen, die die Ministerpräsidentin gestern besucht haben.«
Der Polizeipräsident zeigte auf einen roten Kasten auf seiner Folie, der mit Namen gefüllt war. Die Hand des Polizeipräsidenten zitterte. Der Kugelschreiber, der sich an der Wand hinter ihm als gigantischer Zeigestock abzeichnete, stieß gegen die Folie und ließ sie verrutschen. Er versuchte, sie wieder gerade zu rücken, aber sie schien festzuhängen, und der Polizeipräsident gab auf.
»Vorläufig haben wir keine feste Theorie. Ich wiederhole: Wir haben keine feste Theorie. Es ist von allergrößter Bedeutung, daß wir ein breites Netz auswerfen. Bei dieser Arbeit wird der Überwachungsdienst eine zentrale Rolle spielen. Die Durchführung des Mordes …«
Er schaltete den Projektor aus und riß die widerspenstige Folie mit beiden Händen heraus. Dann legte er eine andere auf die Glasplatte und schaltete das Gerät wieder ein.
»… weist auf einen hohen Grad an Professionalität hin.«
Die Folie zeigte eine Skizze des vierzehnten und fünfzehnten Stocks im Hochhaus.
»Das ist das Büro der Ministerpräsidentin. Wie wir sehen, hat es zwei Zugänge, einmal durch das Vorzimmer, hier …«
Er tippte mit dem Kugelschreiber auf die Türöffnung.
»Und durch ein Besprechungszimmer, durch den Aufenthaltsraum und dann hier hinein.«
Der Kugelschreiber malte ein Viereck auf die Folie.
»Beiden Zugängen ist gemeinsam, daß man an dieser Tür hier vorbei muß …«
Wieder tippte der Kugelschreiber gegen das Glas.
»Und diese befindet sich in Sichtweite vom Schreibtisch der Sekretärin.«
Der Polizeipräsident seufzte so tief, daß selbst Billy T. und Tone-Marit Steen, die ganz hinten saßen, es hören konnten. Dann herrschte Stille.
»Außerdem«, sagte der Polizeipräsident plötzlich, seine Stimme versagte mitten im Satz, und er hustete energisch, »außerdem muß man, um in die drei für den Regierungschef vorgesehenen Stockwerke zu kommen, diesen Punkt hier passieren.«
Jetzt zeigte er mit seinem dicken Zeigefinger, der den gesamten Eingang zum vierzehnten Stock
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