Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
immer.
»Konrad, Konrad, mein Busenfreund«, sagte Liten Lettvik, worauf dieser wie üblich mit ohrenbetäubendem Schweigen reagierte. »Nur eine kleine Frage. Dieselbe wie gestern. Du warst ja nicht sehr kooperativ.«
Die Pause war nicht so lang, wie sie erwartet hatte.
»Das ist das letzte Mal, daß du etwas von mir kriegst, Lettvik. Hörst du?«
Die Stimme verstummte und schien auf ein Versprechen zu warten, das jedoch ausblieb.
»Alles klar?«
»Kommt drauf an. Was hast du für mich?«
Noch eine lange Pause.
»Benjamin Grande.«
»Grinde.«
»Egal. Grinde. Gestern wurde wirklich ein Haftbefehl gegen ihn erlassen.«
»Haftbefehl?«
Liten Lettvik wäre fast das Telefon aus der Hand gefallen, und es piepste munter, als sie in ihrer Verwirrung auf alle möglichen Tasten drückte.
»Hallo? Bist du noch dran?«
»Ja.«
»Ein Haftbefehl, sagst du? Ihr habt einen Haftbefehl gegen einen so hohen Richter erlassen?«
»Reg dich ab. Der Haftbefehl ist schon längst wieder aufgehoben worden. Das Ganze war ein ziemlicher Patzer, die Juristen hatten es mal wieder viel zu eilig.«
»Aber es hat ihn also gegeben? Schriftlich? Einen schriftlichen Haftbefehl?«
»Ja. Der Kriminaloberrat, der ihn ausgestellt hat, ist heute gewaltig zusammengestaucht worden. Vom Präsidenten höchstpersönlich.«
»Kannst du mir eine Kopie besorgen, Konrad?«
»Nein.«
»Wenn du mir eine Kopie besorgst, dann werde ich dich nie mehr anrufen.«
»Das geht nicht. Du hast jetzt genug gekriegt.«
»Eine wunderbare Abmachung, Konrad. Nie mehr ein Anruf von mir, wenn du diesen Haftbefehl heraushusten kannst. Ehrenwort.«
Hauptkommissar Konrad Storskog schwieg. Er legte einfach auf. Liten Lettvik starrte kurz ihr Mobiltelefon an, dann klappte sie es zusammen und steckte es in die Tasche.
Sie lächelte breit, ging über die Straße und verschwand in Richtung Redaktion.
»Gott sei Dank, daß Konrad Juristen haßt«, murmelte Liten und schmunzelte.
Sie war ziemlich sicher, daß Konrad Storskog jede Gelegenheit ergreifen würde, um sich für immer von ihr zu befreien. Fast hätte sie vor Freude gepfiffen.
19.04 norwegische Zeit, Berkeley, Kalifornien
Lieber Billy T.!
Danke für das Fax, es beeindruckt mich wirklich, daß Du Dir Zeit zum Schreiben nimmst. Ich hoffe, dieses Fax hier weckt Dich nicht (macht Dein Faxgerät sehr viel Krach?), denn Dein Schlaf ist wirklich wohlverdient. Du mußt Dir einen Computer zulegen, dann können wir uns e-mails schicken. Das ist billiger und besser.
Noch immer erregt der Mord an Birgitte Volter auch hier eine gewisse Aufmerksamkeit. Ich bin stundenlang in den norwegischen Nachrichtenwebsites herumgesurft. Aber die scheinen auch nicht viel zu wissen. Abgesehen von der AZ, die ein Horrorbild nach dem anderen entwirft. Ja, ja, sie müssen ja ihre vielen Extrablätter irgendwie vollkriegen.
Was Du über die Wächter geschrieben hast, gibt mir wirklich zu denken. Wenn Ihr mit Sicherheit nur vier Personen mit dem Tatort in Verbindung bringen könnt – die Sekretärin, den Richter (ist das eigentlich der mit der Kommission?) und die beiden Wächter –, dann würde ich nach einer einfachen Methode suchen, sich Zugang zu den Räumen der Ministerpräsidentin zu verschaffen. Es scheint ja unmöglich zu sein, für diese vier Personen ein Motiv zu finden. Also kann es jemand anders gewesen sein, und dieser Jemand muß irgendwie ins Zimmer gelangt sein. Wie typisch für unseren Chef, daß er Lüftungsventile und Fenster im fünfzehnten Stock untersuchen läßt! Ich sehe ja ein, daß auch das sein muß, Billy T., aber wir wissen beide, daß die Antwort fast immer in der leichtesten Lösung liegt. Haben die Wächter vielleicht gerade eine Pause gemacht? Es war Freitagabend und offenbar wenig los im Büro. Raucht der Wächter? Hatte er sich den Magen verdorben? Ich gehe davon aus, daß die Wächter absolut zuverlässig sind, aber gab es vielleicht irgendwelche Unregelmäßigkeiten? Vertretungen? Und noch etwas: Ich würde fürs erste nach Motiven suchen. Ich nehme an, daß die Jungs im obersten Stock im Moment Amok laufen und eine nette Theorie nach der anderen aushecken, über Terrorismus und so weiter, aber wie wäre es mit guter, altmodischer Ermittlungsarbeit? Hatte Birgitte Volter Feinde? Ziemlich sicher. Die Frau hat doch eine Superkarriere gemacht. Und nicht zuletzt: Wollte sie irgend etwas an die Öffentlichkeit bringen? Wollte die Regierung einen Entschluß fassen, vor dem gewichtige
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