Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
kleine Beule zu sehen, von der Größe eines entzündeten Pickels etwa.
»Der Schuß ging durch die Schläfe, durch das Gehirn und bis zu den Schädelknochen auf der anderen Seite, und dann hat die Kugel sich quer gelegt, hier, dicht unter der Haut. Birgitte Volter war sofort tot.«
Er klickte noch einmal.
»Das hier ist die Kugel.«
Die Kugel sah trotz der Vergrößerung unscheinbar aus; ein schwarzweißes Maßband daneben verriet, daß es sich um ein kleinkalibriges Geschoß handelte.
»Und das Seltsame ist …«, sagte der Polizeirat und verstummte dann plötzlich. »Nein, wir wollen die Aussagen der Ballistik abwarten.«
Nach einem weiteren Klicken folgte eine Zeichnung: Eine Frau saß in einem Schreibtischsessel und hatte die Hände auf die Tischplatte gelegt. Hinter der Frau stand ein gesichtsloser Mann mit einer Waffe in der Hand, einem auf die Schläfe der Frau gerichteten Revolver.
»Ungefähr so muß es gewesen sein. Es steht fest, daß die Waffe die Schläfe berührt hat, als der Schuß abgegeben wurde. Das sehen wir an den Schmauchspuren um die Einschußwunde. Was bedeutet, daß der Mörder dicht hinter ihr gestanden haben muß. Vor ihr war ja kein Platz.«
Der Zeigestock tippte den Schreibtisch auf der Zeichnung an.
»Wir wollen natürlich nicht spekulieren, aber es sieht in gewisser Weise aus wie …«
»Erpressung«, sagte Håkon Sand.
Die anderen Männer blickten ihn an. Der Überwachungschef, jetzt in anthrazitgrauem Anzug und rotem Schlips, schloß die Augen und atmete lautstark durch die Nase.
»Ja. Und außerdem …«
Auf dem nächsten Bild klaffte vor ihnen in hundertfacher Vergrößerung die Wunde im Kopf der Ministerpräsidentin.
»… sehen wir hier Faserreste. Von Wollfasern, wie wir inzwischen wissen. Wir nehmen an, sie stammen von ihrem Tuch, das wir bis jetzt ja noch nicht gefunden haben. Rote und schwarze Wollfasern. Was bedeutet, daß …«
»Wurde sie durch ihr eigenes Tuch hindurch erschossen?« fragte Håkon Sand. »Hatte sie das denn auf dem Kopf?«
Der Polizeirat schien sich über diese Unterbrechung zu ärgern.
»Ich schlage vor, wir verschieben die Diskussion auf später«, sagte er sauer und beschrieb mit dem Zeigestock einen Ring in der Luft. »Nein, sie trug das Tuch nicht um den Kopf, sondern um die Schultern. Aber sie kann es sich über den Kopf geschlagen haben, etwa wie …«
»Eine Kapuze«, murmelte Håkon Sand.
»Richtig«, schaltete der Überwachungschef sich ein, rückte seinen Schlipsknoten gerade und beugte sich vor. »Der Mann kann ihr das Tuch über den Kopf gelegt haben, um ihr noch mehr angst zu machen.«
»Und dann kommen wir zu dem Punkt, der mir am merkwürdigsten vorkommt.«
Der Polizeirat hatte offenbar beschlossen, nicht mehr auf die dauernden Unterbrechungen einzugehen.
»Das Kaliber.«
Wieder erschien an der Wand das Bild der Kugel.
»Es ist zu klein.«
Der Polizeipräsident war jetzt aufgestanden, er lehnte am Fenster, schaute ins Zimmer und rieb sich das Kreuz.
»Was meinst du mit zu klein?«
»7,62 Millimeter. Das übliche Kaliber für Handfeuerwaffen ist neun Millimeter. Oder .38, wie es in den USA heißt. Bei einer so kleinkalibrigen Munition wie dieser ist noch nicht mal sicher …«
Er kratzte sich an der Stirn und zögerte ein bißchen zu lange.
»Es ist noch nicht mal sicher, ob das Opfer wirklich stirbt. Warum sollte eine Person, die die Ministerpräsidentin umbringen will, und der es gelingt, sich Zutritt zum vermutlich bestbewachten Büro Norwegens zu verschaffen, eine Waffe nehmen, die im Grunde ungeeignet ist? Und damit nicht genug …«
Er fuhr mit der roten Spitze des Zeigestocks an den Konturen der Kugel entlang.
»Es ist ein sehr seltenes Kaliber. Hierzulande auf jeden Fall. Man kann es im Laden nicht kaufen, sondern nur bestellen.«
»Aber wenn …«, begann der Polizeipräsident und trat vor die Wand, die als Leinwand diente, »… wenn der Mann irgendeine Art von Druck auf sie ausgeübt hat … ich meine, wenn er sie erpressen und nicht umbringen wollte … was wollte er dann? Und warum hat er sie umgebracht, wenn er das eigentlich gar nicht vorhatte?«
Es war still im Zimmer, und es roch muffig. Der Polizeirat drückte auf eine der Telefontasten.
»Kaffee«, sagte er und drückte noch einmal.
Zwei Minuten später saßen die sechs Männer um den Besprechungstisch des Polizeipräsidenten und schlürften Kaffee. Schließlich stellte der Überwachungschef seinen weißen Becher ab und
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