Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
ihren Geruch in den Kleidern gefunden, der ganze Schrank duftete nach Birgitte, und die dünne, brüchige Kruste, die sich über die blutende Wunde vom Freitagabend gelegt hatte, war wieder aufgebrochen. Ihre Handtaschen voller vertrauter Gegenstände. Der Schlüsselring, den er in dem Sommer für sie geknüpft hatte, als sie zwanzig waren; ein Kreuzknoten, der niemals aufgegangen war, und der sich, wie sie oft lachend gesagt hatte, als ebenso solide erwiesen hatte wie ihre Liebe zueinander. Ein tiefroter, fast aufgebrauchter Lippenstift. Für einen Moment hatte er sie vor sich gesehen, die schnelle, geübte Bewegung des Stiftes über ihre Lippen. Eine vergilbte Theaterkarte, von einem Abend, an den er sein Leben lang denken würde; wegen der Theaterkarte hatte er seine Suche unterbrochen, er hatte allein im Schlafzimmer gestanden, an der Karte gerochen und sich in die Zeit zurückgewünscht, als sie noch nicht an ihrem großen Projekt gearbeitet hatten, an Birgittes politischer Karriere.
»Die Schlüsselkarte ist ganz einfach nicht hier. Tut mir leid.«
Auf dem Sofa saß ein junger Mann, den die Polizeianwärterin für den Sohn des Hauses hielt. Er trug Uniform und war beängstigend blaß. Sie versuchte, ihn anzulächeln, aber er starrte an ihr vorbei.
»Dann geben wir es auf. Vielleicht hat sie sie ja einfach verloren. Es tut mir wirklich leid, daß wir Sie stören mußten.«
Als sie die Haustür hinter sich ins Schloß gezogen hatte, blieb sie auf der Treppe stehen und dachte nach. Am Freitag hatte Volter ihre Schlüsselkarte vergessen. Das stand fest. Trotzdem hatten sie ihr Büro durchsucht. Die Karte war nicht da. Sie war angeblich so groß wie eine Kreditkarte und mit einem Foto und einem Magnetstreifen versehen. Eine ganz normale Schlüsselkarte, die sich auch nicht im Haus des Witwers befand. Seltsam.
Aber gut. Die Ministerpräsidentin konnte sie ja verloren haben. Ganz einfach. Sie konnte sie an eine Stelle im Reihenhaus gelegt haben, auf die ihr Mann nicht gekommen war. Er hatte immerhin soeben seine Frau verloren und dachte bestimmt nicht sonderlich klar.
Die Polizeianwärterin setzte sich ins Auto und steckte den Zündschlüssel ins Schloß. Sie erstarrte kurz, beschloß dann aber, den Motor anzulassen.
Es machte ihr zu schaffen, daß sie die Karte nicht finden konnten.
12.07, Hauptwache Oslo
Billy T. war schlecht gelaunt. Der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches war ihm da auch kein Trost.
»Also noch mal«, sagte Billy T. schroff und versuchte, den flackernden Blick einzufangen. »Die Alarmanlage wurde also ausgelöst. Vom Besprechungszimmer neben dem Aufenthaltsraum der Ministerpräsidentin aus …«
»Um sieben nach halb sechs. Wenn Sie mir nicht glauben, dann schauen Sie doch im Wachbuch nach.«
»Wieso in aller Welt kommen Sie auf die Idee, ich würde Ihnen nicht glauben?« fragte Billy T.
»Warum haben Sie mich denn dann schon wieder hergeholt?« maulte der Mann. Er war siebenundzwanzig Jahre und einige Monate alt, was Billy T. den Papieren entnahm, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Der Wächter war nicht gerade häßlich, aber doch alles andere als gutaussehend. Seine ganze Erscheinung hatte etwas undefinierbar Unangenehmes. Er hatte ein schmales Gesicht mit einem spitzen Kinn und hätte sich unbedingt die Haare waschen müssen. Seine Augen hätten schön sein können, wenn er sie richtig geöffnet hätte; die Wimpern waren lang und dunkel. Billy T. hätte niemals sein Alter schätzen können, deshalb hatte er in seinen Unterlagen nachgeschaut. Der Mann hätte zwanzig sein, aber auch auf die Vierzig zugehen können.
»Das müssen Sie doch kapieren, daß Ihre Aussage ziemlich wichtig ist, Mensch!«
Billy T. schnappte sich eine Skizze des fünfzehnten Stocks, eine Kopie des Plans, den der Polizeipräsident ihnen am Vortag gezeigt hatte, und zeigte auf das Besprechungszimmer, das wirklich nur durch einen schmalen Aufenthaltsraum vom Büro der Ministerpräsidentin getrennt war.
»Hier waren Sie. Zu einem äußerst kritischen Zeitpunkt. Erzählen Sie, was passiert ist.«
Der Wächter prustete wie ein Pferd, Speicheltropfen nieselten auf den Tisch, und Billy T. zog eine Grimasse.
»Wie oft muß ich das denn noch erzählen?« fragte der Wächter ärgerlich.
»Genau so oft, wie ich das sage.«
»Kann ich was zu trinken haben? Ein Glas Wasser?«
»Nein.«
»Habe ich nicht einmal Anspruch auf ein Glas Wasser?«
»Sie haben auf rein gar nichts Anspruch. Wenn Sie
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