Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Arbeit?«
»Ich räume ein bißchen auf.«
Pause.
»Damit kannst du aufhören. Du machst weiter mit.«
Noch eine lange Pause.
»Vielen Dank, Tryggve. Das werde ich nie vergessen. Diesen Tag, meine ich.«
Tryggve Storstein spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten.
Ruth-Dorthes Dankesworte hörten sich fast an wie eine Drohung.
Freitag, 11.April 1997
10.55, Stortorget
Seit der Beisetzung von König Olav im Januar 1991 hatte in der Osloer Innenstadt kein solches Gedränge mehr geherrscht. Die Straßen, die zum Stortorg führten, waren für den Autoverkehr gesperrt, und ein Heer von uniformierten, schlechtgelaunten Polizisten versuchte, die Kirkegate offenzuhalten, damit die in wenigen Minuten erwartete Wagenkolonne dort passieren konnte. Überall waren Fernsehkameras aufgebaut, und Brage Håkonsen entdeckte hier und dort die lächerlich leicht erkennbaren Leute vom Überwachungsdienst, die mit Knopf im Ohr und Sonnenbrille ausgestattet waren, trotz des trüben Wetters.
Zwei Polizeipferde trippelten elegant und nervös den Straßenrand entlang. Das machte sich bezahlt, die Menschen wichen vor den großen Tieren zurück, die Schaum vor dem Maul hatten und die Augen so verdrehten, daß nur noch das Weiße zu sehen war. Plötzlich bogen vier Motorräder um die Ecke und fuhren durch die Kirkegate. Ihnen folgte die Wagenkolonne aus dunklen Limousinen.
In viel zu hohem Tempo ging es zum Osloer Dom, wo die Autos zum Halten kamen. Prominente Gäste aus aller Welt wurden schnell und bisweilen reichlich brutal von Polizisten mit und ohne Uniform in die Vorhalle geschoben. Brage Håkonsen grinste, als er von seinem Standort an der Kreuzung Grensen und Kirkegate sah, daß Helmut Kohl nicht am Arm gepackt werden wollte; er versetzte dem übereifrigen Beamten – der einen Kopf kleiner war als er – einen Stoß und drehte sich um, um irgendwelche Bekannten zu begrüßen.
Nun zog die Gardemusik auf. Chopins Trauermarsch legte sich wie eine stille Decke über die Menschenmenge. Brage Håkonsen nahm die Mütze ab, nicht aus Respekt, sondern weil er wußte, daß es hier galt, sich wie alle anderen zu verhalten.
Danach fuhr ein schwarzes Auto mit norwegischer Flagge auf der Motorhaube vor. Auf Birgitte Volters weißem Sarg lag ein Kranz aus tiefroten Rosen, der an einen Ring aus dickem, geronnenen Blut erinnerte. Brage Håkonsen hörte vereinzeltes Schluchzen. Aus irgendeinem Grund, den er nicht erklären und schon gar nicht akzeptieren konnte, spürte auch er den Ernst der Stunde, ein Gefühl von Feierlichkeit und Trauer.
Gereizt schüttelte er dieses Gefühl ab und ging vor der Menschenmenge her in Richtung Stortorg.
Und dann geschah es: Vier Männer und sieben Frauen sprangen johlend und schreiend vor den Trauerzug, ehe die Polizei reagieren konnte.
»Stop the whaling«, brüllten sie. »Killers! Killers!«
Brage blieb stehen und starrte in die Augen eines riesigen Gummiwals, der immer dicker wurde, während ein Demonstrant eine Heliumpumpe betätigte.
»Stop the whaling NOW! Stop the whaling NOW!«
Die rhythmischen Rufe übertönten fast die Gardemusik, doch die Gardisten waren die einzigen weit und breit, die sich nicht aus der Ruhe bringen ließen. Sie spielten ihren schweren, traurigen Marsch, trotz des Gebrülls. Der Wal, der inzwischen fast seine natürliche Größe erreicht hatte, wackelte immer heftiger und sah aus, als wolle er in den Dom schwimmen. Einer der Demonstranten packte einen Eimer, den eine junge Frau ihm reichte. Blitzschnell stemmte er den Deckel mit einem Schweizer Offiziersmesser auf, und mit einer ausholenden, demonstrativen Bewegung kippte er die rote Farbe über den Leichenwagen. Der Fahrer hatte die Lage jedoch erfaßt und setzte zurück. Die Farbe traf auf den Asphalt, und nur wenige Tropfen erreichten den Wagen mit Birgitte Volters sterblichen Überresten.
Trotz ihrer Überraschung konnte die Polizei die Aktion sehr bald beenden. Zwanzig Beamte stürzten sich auf die Demonstranten, sie brauchten nur fünf Minuten, um ihnen Handschellen anzulegen, ein Loch in den Wal zu stechen und die Demonstranten mit ihrem schlaffen Pottwal in einen Polizeiwagen zu stecken.
»He«, schrie Brage Håkonsen und zerrte an seinen Handschellen. »Ich hab doch nichts damit zu tun!«
Er wehrte sich, so gut er konnte, als drei Männer ihn in den Wagen zwangen.
»Ich hab nichts damit zu tun, hört ihr nicht?«
»Halt die Fresse«, fauchte eine uniformierte Frau, die vorne im Auto saß. »Ihr habt ja
Weitere Kostenlose Bücher