Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
das Gesuchte, eine in Butterbrotpapier eingewickelte Möhre.
Ein schmerzhaftes Knacken erfüllte ihren Kopf, als sie hineinbiß.
14.46, Hauptwache Oslo
»Das kann kein Zufall sein. Das ist ganz einfach unmöglich.«
Der Beamte, der ohne anzuklopfen ins Büro des Überwachungschefs platzte, war eifrig und außer Atem, er schlug mit der rechten Hand auf die Unterlagen, die er Ole Henrik Hermansen hingelegt hatte.
»Die schwedischen Kollegen halten es für Sabotage. Eine Benzinleitung war beschädigt. Keine Materialermüdung. Kein Betriebsschaden. Das ganze Flugzeug war erst wenige Stunden zuvor gründlich durchgecheckt worden.«
Ole Henrik Hermansen zeigte jetzt nicht mehr sein Pokergesicht. Seine Miene war angespannt und hellwach, er runzelte die Stirn, und seine Augen funkelten voller Sorge.
»Steht das fest? Oder, um genauer zu sein, wie fest steht das?«
»Natürlich wissen sie es noch nicht. Sie ermitteln weiter. Aber das ist noch nicht alles.«
Der Beamte holte aus seinem Diplomatenkoffer einen roten Ordner hervor und nahm ein Bild heraus. Ein großes, grobkörniges Farbbild. Ein junger Mann mit blonden, zurückgekämmten Haaren starrte an der Kamera vorbei; er trug eine randlose Brille und hatte eine Zigarette im Mundwinkel.
»Tage Sjögren«, stellte der Beamte vor. »Zweiunddreißig Jahre alt, aus Stockholm. Leitet eine rechtsextreme Gruppe namens ›Weißer Kampf‹. Sie hatten schon häufiger Ärger mit der Polizei, vor allem bei Krawallen am Geburtstag Karls XII. und so. In den letzten Jahren schienen sie aber ziemlich abgetaucht zu sein. Die Kollegen hatten sie aus den Augen verloren, wußten aber, daß es sie noch gab. Und vor einer Woche …«
Jetzt war der Beamte so eifrig, daß er lachte, er erinnerte seinen Chef an dessen Sohn, wenn er vor den Sommerferien mit seinem Zeugnis angerannt kam.
»… ist Tage Sjögren nach Norwegen gekommen.«
Ole Henrik Hermansen hielt den Atem an. Das merkte er erst, als seine Ohren rauschten, und sofort stieß er die Luft durch seine zusammengekniffenen Lippen wieder aus. »Wissen wir irgend etwas darüber, wo in Norwegen er gewesen ist?«
Der Beamte ließ sich in den Sessel zurücksinken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
»Nein. Das Dumme ist, daß die schwedischen Kollegen den jungen Tage nicht interessant genug gefunden haben, um uns Bescheid zu sagen. Sie wissen nur, daß er hier war und daß er jetzt wieder in Schweden ist, und zwar seit Samstag vormittag.«
Ole Henrik Hermansen starrte seinen Mitarbeiter an. Lange.
»Hol mir den Chef der schwedischen Sicherheitspolizei ans Telefon«, sagte er dann. »Wir müssen sie bitten, den Mann zu verhören. Und zwar sofort.«
22.30, Gesundheitsministerium
Der Fahrer wartete seit fünf Uhr nachmittags unten in der Tiefgarage. Sie wußte, daß sich alle über ihre Benutzung des Dienstwagens ärgerten, aber sie hatten ja keine Ahnung, wie nervig es war, sich mit allen möglichen Taxifahrern unterhalten zu müssen, die sich selbst als Stimme des Volkes betrachteten. Einige Vorteile mußte dieser Job doch auch mit sich bringen.
Außerdem schien dieser Tag der letzte zu sein, an dem sie die Vorzüge eines eigenen Fahrers würde genießen können. Tryggve Storstein hatte noch immer nicht angerufen.
Inzwischen machte sich auch die Presse ihre Gedanken. Liten Lettvik hatte sie auf ihrem privaten Mobiltelefon erreicht und gefragt, ob es zutreffe, daß sie nicht um ihre weitere Mitarbeit gebeten worden sei. Ruth-Dorthe Nordgarden hatte die Verbindung sofort gekappt. Die Fernsehnachrichten hatten sich zwar sehr vorsichtig ausgedrückt, jedoch ein Fragezeichen neben ihr Bild gesetzt, als sie ihre Vermutungen für die neue Regierung darlegten.
Sie brauchte noch eine Möhre. Wütend durchwühlte sie ihre Tasche, fand aber nichts. In der Teeküche lag noch eine Tüte.
In der Tür zum Vorzimmer blieb sie für einen Moment stehen. Würde sie auch in der Küche das Telefon hören können? Noch ehe sie sich entscheiden konnte, klingelte es. Sie hatte alle Anrufe auf ihren eigenen Apparat umgestellt und ihre Mitarbeiter nach Hause geschickt. Bei ihrer großen Demütigung wollte sie keine Zeugen haben.
»Hallo«, schrie sie in den Hörer. Sie war zum Schreibtisch gestürzt und stand jetzt auf der falschen Seite, wo es keine Sitzgelegenheit gab.
»Hallo?«
Die Stimme im Hörer klang überrascht.
»Mit wem spreche ich?«
Es war Tryggve.
»Hallo, Tryggve. Ich bin’s, Ruth-Dorthe.«
»Noch immer bei der
Weitere Kostenlose Bücher