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Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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sagte sie schließlich. »Wir möchten unseren Lesern doch ein korrektes Bild von ihm vermitteln. Er ist in einer sehr exponierten Position, und sein Leben ist in höchstem Grad von öffentlichem Interesse, finden Sie nicht?«
    Lerche Grinde lachte, ein lautes, perlendes, scharfes Lachen.
    »Ich habe mich wirklich schon gefragt, warum die Presse sich bisher so wenig für ihn interessiert hat. Wissen Sie …«
    Lerche Grinde beugte sich wieder vor, als wolle sie eine vertrauliche Stimmung schaffen.
    »Ben hat als erster in Norwegen sowohl das medizinische Staatsexamen als auch einen Doktor in Jura gemacht. Als allererster. Schauen Sie her!«
    Sie erhob sich vom Sofa, ging zu einem Bücherregal und zwitscherte dabei weiter. Mit steifen Bewegungen ging sie in die Hocke und zog ein Album heraus.
    »Ich finde ja, daß das damals viel zu wenig Aufmerksamkeit erregt hat.«
    Sie legte das Album vor Liten Lettvik auf den Tisch.
    »Nur eine kleine Meldung in Aftenposten«, schnaubte sie und zeigte mit einem rotlackierten Fingernagel darauf. »Es war ein Ereignis, das kann ich Ihnen sagen. Aber …«
    Sie ließ sich wieder aufs Sofa fallen.
    »Als Ben sein Abitur machte, gab es einen größeren Artikel.«
    Lerche Grinde gab Liten Lettvik ein Zeichen, weiter im Album zu blättern.
    »Zwar nur in der Lokalzeitung, aber immerhin.«
    Liten Lettvik blätterte. Plötzlich sah sie den jungen Benjamin Grinde, auf einem großen, grob gerasterten und verblichenen Zeitungsfoto. Er lächelte verlegen in die Kamera, und trotz seiner langen Mähne und den nackten Augen eines Achtzehnjährigen war er sofort zu erkennen. Der Mann war im Laufe der Jahre zwar schöner geworden, doch schon auf dem alten Foto war sein gutes Aussehen zu erkennen, unfertig, verletzlich und anziehend.
    »Himmel«, murmelte Liten Lettvik. »So gute Noten hatte er?«
    »Sehr gut in allen Fächern«. Lerche Grinde kicherte glücklich. »Auf der Osloer Kathedralschule. Dem besten Gymnasium der Stadt … ja, ich würde fast sagen, dem besten im Land. Damals zumindest. Inzwischen ist es ja auch damit bergab gegangen.«
    Sie verzog mißbilligend den Mund.
    »Wer ist das?«
    Liten Lettvik legte das schwere Album vor Benjamin Grindes Mutter hin. Lerche Grinde nahm eine Brille mit halbmondförmigen Gläsern aus einem Lederetui und betrachtete das Bild.
    »Das«, seufzte sie. »Das ist doch Birgitte, die arme Birgitte, sehen Sie doch nur, wie reizend sie war.«
    Birgitte Volter hatte einen Arm um den achtzehnjährigen Benjamin Grinde gelegt. Der junge Mann stand stocksteif da, seine Hände hingen unschlüssig vor seinen Oberschenkeln; er starrte auf einen Punkt neben der Kamera. Birgitte Volter, mit halblangen Haaren und wippendem Röckchen, Pumps und einer Brille wie Katzenaugen, lachte in die Kamera. Auf dem anderen Arm trug sie einen Säugling. Das Kind lag nicht besonders gut da, und sein Kopf hing zu weit am Rand. Auf den grauschwarzen Bogen war mit weißer Tinte in eleganter und gut leserlicher Schrift geschrieben: »Klein-Livs erster Tag an der Sonne.«
    »Sehen Sie«, sagte Lerche Grinde eifrig und blätterte weiter im Album. »Hier sind wir allesamt am Strand. Sie wissen doch, Birgitte Volter war eine sehr enge Freundin der Familie. Ihre Eltern – wunderbare Menschen, sie sind seit einigen Jahren leider tot – waren unsere nächsten Nachbarn. Es war eine wunderbare Zeit.«
    Sie seufzte und ließ sich lächelnd ins Sofa zurücksinken. Dabei starrte sie sehnsüchtig aus dem Fenster.
    »Was für eine wunderschöne Zeit«, wiederholte sie, eher an sich gerichtet als an Liten Lettvik.
    Diese hörte ihr auch gar nicht zu.
    »Wer ist das?« fragte sie laut und zeigte auf ein anderes Bild.
    Lerche Grinde gab keine Antwort. Sie starrte noch immer aus dem Fenster, ihr Gesicht hatte sich verändert, ihre Augen wirkten jetzt sanft, und ihr Lächeln schien von tief innen zu kommen, aus einem seit langem verschlossenen Raum.
    »Verzeihung«, sagte Liten Lettvik laut. »Frau Grinde!«
    »Ach«, die alte Frau fuhr zusammen. »Tut mir leid. Was haben Sie gesagt?«
    »Wer ist das?«
    Liten Lettvik wollte keineswegs die Aufmerksamkeit auf ihre abgeknabberten Nägel lenken und klopfte deshalb mit dem Fingerknöchel auf das Bild eines Säuglings. Das Kind lag auf dem Rücken auf einem Frotteehandtuch, hatte die nackten Knie an die Brust gezogen und blickte unzufrieden mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne. Auf der einen Seite des Kindes saß Birgitte Volter, noch immer lächelnd,

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