Im Zeichen des Schicksals
suchte.
»Oder vielleicht hat er ein Keuschheitsgelübde abgelegt, und dich zu küssen erscheint ihm da einfach zu gefährlich für ihn?«
Oder vielleicht plant er, dem Jungen ein Leid anzutun, bei dem du wohnst. Meine Stimmung verschlechterte sich zusehends. Ich nahm das Roastbeefsandwich von meinem Teller und biss hinein. »Könnten wir bitte einfach das Thema wechseln?«
»Na schön, aber ich sage dir, Ian steht auf dich«, fuhr Melissa fort. »Warum fragst du nicht Beaumont, was er denkt, er wird mir bestimmt recht geben.«
Beaumont? Ich folgte ihrem Blick zur Mensatür, und eine Welle der Erleichterung durchströmte mich. Josh, Nick und Matt kamen hereinspaziert und steuerten die Theke mit den Nudelgerichten an.
»Jungs verstehen, wie Jungs ticken, weißt du? Er wird dir sicher sagen können, was Ian denkt.«
Nein, Josh wusste definitiv nicht, was Ian dachte. Aber vielleicht gab es eine Möglichkeit für mich herauszufinden, was Ian dachte! Ich brauchte ihn doch nur dazu zu bewegen, ihm die Karten legen zu dürfen, um sehen zu können, was er im Schilde führte! Warum war mir das nicht schon früher eingefallen?
»Ich bezweifle, dass das funktionieren würde, Melissa. Josh und Ian sind praktisch das genaue Gegenteil voneinander.«
Melissa lachte. »Jetzt bist du einfach nur noch halsstarrig, aber was soll’s. Hab schon kapiert. Themenwechsel, stimmt’s? Ach, da fällt mir auch gleich was ein. Hast du schon von dieser merkwürdigen Krankheit gehört, die sich in der Schule ausbreitet?«
»Eine Krankheit?« Ich hatte nichts dergleichen gehört. Aber andererseits unterhielt ich mich an der Schule auch nur mit einer Handvoll Leute, und Melissa war meine Hauptinformationsquelle für alles, was die Thornton Academy betraf.
»Ja, es ist irgendetwas Sonderbares. Anscheinend macht es einen erst einmal richtig müde, wenn man es kriegt, als könne man nicht mal mehr einen Finger heben. Nach ein paar Tagen ist es am schlimmsten. Man wird noch schwächer, hat das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, und schwitzt viel. Und dann geht es einem ganz plötzlich wieder gut, ohne alle Medikamente. Ist das nicht eigenartig?«
Ein Bild von Rebecca kam mir in den Sinn. Bleiches Gesicht, schweißnasse Stirn, dunkle Ringe unter den Augen, und sie hatte darüber geklagt, nicht atmen zu können.
»Melissa, glaubst du an Dämonen?« Ein Satz aus Roberts Buch raste mir durch den Sinn. Ein Dschinn, der von einem Leichnam Besitz ergreift, muss sich von der Lebenskraft der Menschen nähren, um den Leichnam frisch zu halten.
»Dämonen? Heiliger Bimbam! Wie kommst du denn da drauf?« Melissa runzelte die Stirn. Sie drehte ihren Bleistift zwischen den Fingern und fügte hinzu: »Ich meine, versteh mich nicht falsch. Ich glaube an Gott und den Teufel; aber Dämonen, die in der Gegend herumlaufen und Chaos anrichten? Die gibt es nur in Supernatural , wo Sam und Dean Winchester sie töten können.«
»Wer?«
»Moment mal, erzähl mir jetzt nicht, dass du noch nie Supernatural gesehen hast, die beste Serie, die je auf die Bildschirme gekommen ist?« Melissa klang entsetzt.
»Nein«, gestand ich widerstrebend und bereitete mich innerlich auf den Sturm der Entrüstung vor, der mir nun offenbar bevorstand. Aber der blieb aus, denn plötzlich wurde Melissa ganz still, und dann schlug sie eilig ihr Heft auf und kritzelte senkrecht untereinander Zahlenreihen über die Seiten.
Sah ganz nach Inspiration aus.
Ich wandte mich wieder meinem Sandwich zu und grübelte über die Dinge nach, die Rebecca gesagt hatte. Ein Schauder überlief mich, als ich mich an ihre Worte erinnerte: Es quält mich. Hatte sich wirklich ein Dschinn von ihr genährt? Nein. Es konnte nicht sein. Nur weil es in einem Buch stand, bedeutete das noch nicht, dass die »wandelnden Toten« auch wirklich existierten. Ich hatte noch nie zuvor von ihnen gehört, und die Wahrscheinlichkeit, dass es sie nicht nur tatsächlich gab, sondern dass einer von ihnen darüber hinaus auch noch die Thornton Academy terrorisierte, war verschwindend gering.
»Entschuldige bitte, wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Melissa und klappte ihr Heft zu. Dann warf sie einen Blick über meine Schulter. »Und was haben die denn vor!?«
Ich versuchte, alle Gedanken an wandelnde Tote beiseitezuschieben, als ich nun Josh und seine Jungs auf unseren Tisch zukommen sah, ihre Tabletts in den Händen.
»Hi«, lächelte Josh und suchte meinen Blick. »Was dagegen, wenn wir uns zu euch
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