Im Zeichen des Schicksals
hängte. »Du hattest großes Glück. Du hast keine ernsten Verletzungen, nur ein paar Beulen und Prellungen.«
Glück wäre es wohl eher gewesen, gar nicht erst angefahren worden zu sein. Dem Arzt zuliebe nickte ich, dann ließ mich der pochende Schmerz in meiner Schläfe zusammenzucken. Er bemerkte es.
»Ich kann dir ein stärkeres Schmerzmittel geben, wenn du willst.«
Wollte ich ein stärkeres Mittel? Ich hatte arges Kopfweh, da war ein dumpfes Pochen in meinen Beinen und ein heftig stechender Schmerz in meinem Bauch und meinem linken Arm. Aber ganz schlimm war es nicht, und ich musste klar denken können. »Ist schon okay so.«
»In Ordnung, aber falls du es dir anders überlegst, sag einfach Schwester Rachel hier Bescheid. Sie wird heute Nacht regelmäßig nach dir sehen.«
Heute Nacht? Es war kaum Mittag gewesen, als ich aus dem Zug gestiegen war. Ich sah mich im Raum um und entdeckte das große Fenster über meiner rechten Schulter. Die Bäume draußen waren dunkle Schemen, die sich im orangegelben Schein der Straßenlaternen wiegten.
»Celine?« Dr. Deluca sah mich mit gespannter Erwartung an. Hatte er mich etwas gefragt? Und warum zum Kuckuck nannte er mich immer bei diesem Namen?
»Entschuldigung?«
»Ich sagte, wir konnten keine Informationen in deinem Rucksack finden, um deine Eltern zu kontaktieren. Wenn du uns sagen kannst, wie sie heißen, rufen wir schnell an und lassen sie wissen, wo du bist.«
In diesem Moment dämmerte es mir. Celine . Der Name im Einband meiner antiquarischen Ausgabe von Tausendundeiner Nacht . Sie mussten das Buch in meinem Rucksack gefunden haben. Gut, warum auch nicht? Sie konnten mich gern Celine nennen. Der Name war genauso echt wie Sarah.
»Celine?«, hakte Dr. Deluca nach. Was hatte er gefragt? Ach so, ja. Der Name meiner Eltern.
»Ich … ich kann mich nicht erinnern«, sagte ich, ohne nachzudenken.
Normalerweise dachte ich über meine großen Lügen etwas genauer nach, aber ich war ziemlich groggy, nachdem mich dieses Ungetüm von Auto angefahren hatte. Angesichts der Tatsache, dass mir der Arzt wieder mit seiner dummen Taschenlampe direkt in die Augen leuchtete, konnte ich im Grunde froh sein, dass ich überhaupt zu einem vernünftigen Gedanken in der Lage war.
Nachdem ich nun also Amnesie vorgeschützt hatte, rief Dr. Deluca sofort seine Kollegen zusammen. Ein Mann mit orangefarbenem Haar und eine Frau um die fünfzig erschienen auch prompt. Bald standen alle um mich herum und stellten mir Fragen, bis ich dachte, mir würde der Kopf abfallen. Schließlich, nach mehreren Stunden des endlosen Herumredens und einigen Minuten seligen Schweigens, hatten sie ihre Diagnose getroffen. Sie beschlossen, dass ich an einer »dissoziativen Fugue« litt.
Dissoziative Fugue. Das war kein Begriff, der mir in Leiden und Krankheiten für Dumme schon einmal untergekommen war. Anscheinend ist eine dissoziative Fugue eine Art von Gedächtnisschwund, bei dem der Betroffene seine Identität vergisst. Ein Patient im Stadium dieser Bewusstseinsstörung weiß also etwa die aktuelle Jahreszahl, den Namen des Präsidenten und derlei Dinge, aber bei allem, was mit seiner Identität zu tun hat, wird es zappenduster.
Ich hätte mir keine bessere Diagnose wünschen können. Die Ärzte hatten sich damit abgefunden, dass ich alles über mich selbst vergessen hatte, daher hörten sie auf, mir Fragen zu stellen. Es wäre alles perfekt gewesen, wenn nicht Dr. Deluca auf dem Weg hinaus an meinem Bett Halt gemacht hätte, um mir zu sagen, dass bald ein Fotograf kommen werde, um ein Foto von mir zu machen.
»Du kannst wirklich von Glück sagen, Celine. Ich weiß, du hast jetzt etwas Schmerzen, aber keine deiner Verletzungen verlangt eine professionelle Behandlung, was bedeutet, dass du sehr bald wieder fortgehen kannst. Das einzige Problem ist, dass wir dich nicht entlassen können, ohne zu wissen, wohin, und obwohl keiner der bisher bei Patienten dokumentierten Fugue-Zustände länger als ein paar Monate angedauert hat, können wir dich unmöglich so lange hierbehalten«, erklärte er.
Sie planten, mein Foto an alle polizeilichen Vermisstenabteilungen rund um East Wendell zu schicken, und hofften, auf diese Weise bald einen Treffer zu landen. Natürlich aber würde sich niemand Passendes finden, da niemand nach einer Celine suchte; und das letzte Foto, das von mir existierte, war entstanden, als ich zehn Jahre alt war. Ich fragte den Arzt, was geschehen würde, wenn sich niemand meldete, um
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