Im Zeichen des Schicksals
Wochen lang die Karten gelegt hatte, begann Janet Fremde einzuladen und ihnen Geld dafür abzuknöpfen, dass ich einen Blick in ihre Karten warf. Zuerst waren es nur ein oder zwei Frauen am Tag; Leute, denen Janet beim Friseur begegnet war. Dann breitete sich die Neuigkeit aus, und sie brachte Interessierte aus dem Lebensmittelladen nach Hause, aus dem Nagelstudio und selbst aus dem Bingosaal. Allmählich begann ich, mir Sorgen zu machen. Es war nicht nur so, dass mir von all der vielen Kartenleserei der Kopf wehtat und dass Janet außerdem erwartete, dass ich neben den Sitzungen auch all meine sonstigen Pflichten wie gewohnt versah, was bedeutete, dass ich noch weniger Schlaf bekam als sonst. Nein, ich machte mir Sorgen wegen Randy. Ich wusste, dass Janet das Kartenlegen vor ihrem Mann geheim hielt, weil sie das Geld nicht mit ihm teilen wollte, aber früher oder später würde er doch etwas bemerken, und dann würden wir beide in Schwierigkeiten stecken.
»Du hältst dich wohl für besonders schlau, wie?«, zischte Janet, als ich meine Sorge zum Ausdruck brachte. »Du glaubst, ich würde dir etwas von diesem Geld abgeben, damit du den Mund hältst, nicht wahr?«
Es war das erste Mal, seit ich bei den Billingtons eingezogen war, dass ich mir ziemlich dumm vorkam. Ich hätte wirklich einen Anteil von dem Geld verlangen sollen, das Janet einsteckte. Mittlerweile belief es sich auf eine Summe von mehreren Hundert Dollar die Woche. Ich hätte davon vielleicht sogar eine Putzfrau bezahlen können, die mir im Haus half, sodass ich zur Schule gehen konnte. Aber jede Nacht nur drei Stunden zu schlafen sorgte nicht gerade für einen wachen Verstand.
Janet wertete mein Schweigen als eine Bestätigung ihres Verdachts. Sie kam um die Wohnzimmercouch herum auf mich zu, und ihre Fistelstimme schwang sich zu ungeahnten Höhen auf. »Du bist nichts Besonderes, weißt du? Ohne diese Karten bist du nichts. Nur eine kleine Waise, die bei anständigen Christenmenschen schmarotzt.«
Ich war zu verängstigt, um wegzurennen, als sie plötzlich ihre Finger wie Schlangen ausfuhr, meine Arme packte und mich mit roher Gewalt schüttelte.
»Ich werde Randy heute Abend von deiner kleinen Begabung erzählen. Er wird sicher wissen, was sich sonst noch so alles mit dir anstellen lässt.«
Im Gegensatz zu den meisten von Janets Ankündigungen entpuppte sich diese allerdings als leere Drohung. Sie hat Randy nie vom Kartenlesen erzählt. Aber sie hat in der Tat eine weitere Methode gefunden, um noch mehr Geld aus mir herauszuschlagen.
Es war ein Dienstagabend: Randy war beim wöchentlichen Pokerabend mit seinen Kumpels, als Janet in mein Zimmer geplatzt kam und mir ein langärmeliges schwarzes Kleid vor die Füße warf.
»Zieh das an, und komm nach unten«, war ihre einzige Erläuterung.
Die Treppe war dunkel, als ich einige Minuten später hinunterging, und aus der Küche kam gedämpftes Flüstern.
»Ah, da ist sie. Komm herein, Sarah, die Olsons haben schon auf dich gewartet.«
Die brennenden Kerzen warfen scharf konturierte Schatten über Janets lächelnde Züge. Sie hatte zwei Ehepaare in mittleren Jahren ins Haus geholt und ihnen versprochen, dass ich einen Kontakt zum jüngst verblichenen Roger Olson würde herstellen können.
Zuerst sträubte ich mich bei dem Gedanken, diese trauernden Fremden zu belügen. Schließlich wusste ich nicht das Geringste darüber, wie man mit Toten Kontakt aufnahm!
Aber Janet hatte mein Widerstreben vorhergesehen und positionierte sich geschickt hinter mir, sodass sie mir die Hände auf die Schultern drücken konnte, bis ich den Platz an der Stirnseite des Tisches eingenommen hatte.
»Lassen Sie sich durch ihre Sprachlosigkeit nicht beunruhigen«, sagte Janet, »Sarahs bloße Gegenwart wird den Geist Ihres Vaters zu uns rufen. Jetzt fassen sich bitte alle an den Händen.«
Wenn mich die Sache nicht so angewidert hätte, hätte mich Janets Schauspielerei vielleicht beeindruckt.
Sie hatte offensichtlich Nachforschungen angestellt oder sich ein paar Filme mit spiritistischen Sitzungen angesehen, denn bald schon rief sie in übertrieben dramatischer Hollywoodmanier nach dem Geist von Roger Olson und forderte ihn auf zu erscheinen.
»Ah, ich spüre seine Gegenwart!«, verkündete Janet eine Weile später. »Stellen Sie jetzt Ihre Fragen.«
Erstaunt hörte ich zu, wie Bruder und Schwester Olson anfingen, über das Geld zu reden, das ihr Vater ihnen hätte hinterlassen sollen, während ihre stummen
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