Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
Wenigstens für eine kleine Weile haben wir den Raum für uns allein.
»Nicht zu fassen, dass sich Miss Penluna daran erinnert«, sagt Dad.
»Woran?«, frage ich.
»An die Vögel«, sagt er. »Mum hat ihr wirklich mal Vögel gebracht. Schwarzschnabel-Sturmtaucher waren das. Kleine schwarz-weiße Vögel, die in Kaninchenbauten nisten, draußen auf den Inseln. Und sie sehen tatsächlich ein bisschen wie Pinguine aus. Mum fand damals ein paar Jungvögel, die völlig erschöpft waren, nachdem sie der Sturm aufs Festland geblasen hatte.«
Dad nimmt einen Schluck Kaffee und schmunzelt. »Miss Penluna setzte sie über Nacht in alte Abflussrohre, bevor sie sie am nächsten Tag freigelassen hat.«
Ich lächle. »Vielleicht hat Onkel Tom recht«, sage ich. »Vielleicht ist Miss Penluna am Ende gar nicht so verrückt, wie alle denken.«
Dad starrt auf die Uhr, nimmt die Mappe vom Stuhl und legt sie auf den Tisch. Er seufzt und fährt mit der Hand am abgegriffenen Rand der Mappe entlang. »Ich muss gleich los.«
Ich weiß, was in der Mappe ist. Ich habe schon unzählige Male reingeschaut. Dad hat mir die Fotos von der Moana gezeigt, wie Mum und Dad das Boot ganz verrottet in einer kleinen Bucht gefunden hatten. Ich habe die Fotos der rundum erneuerten Moana gesehen, die Zeichnungen und Konstruktionsskizzen und den kleinen viereckigen Flicken Segeltuch.
Dad nimmt eins der Bilder heraus. »Ich denke, das eine behalten wir«, sagt er.
Ich fahre mit dem Finger über die Oberkante des Bildes. Eszeigt die Moana am Tag des Stapellaufs, als sie das erste Mal seit über hundert Jahren wieder lossegeln konnte. Das Boot steckt im Gestell einer Ladewinde und wird gerade zu Wasser gelassen. Mum hatte gesagt, das Boot bräuchte für sein neues Leben einen neuen Namen, und das sollte ein Name sein, der uns alle miteinander verbindet. Deshalb hatte sie sich für Moana entschieden, den Namen ihres Geburtsortes auf Neuseeland. Moana ist maorisch und bedeutet Meer.
Ich stecke das Foto zurück in die Mappe. »Lass es da drin«, sage ich. Ich stehe auf, schaue aus dem Küchenfenster und erhasche zwischen den Häusern einen flüchtigen Blick aufs Meer. Ich erinnere mich daran, dass Mum einmal gesagt hat, dass die Moana uns behüten wird, wenn wir sie behüten. Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir sie im Stich gelassen haben.
»Ich komme mit, Dad«, sage ich. »Wir können sie nicht einfach an irgendjemanden verkaufen. Wenigstens das sind wir ihr schuldig.«
Dad nickt. »Ich warte draußen auf dich.«
Ich schlüpfe in T-Shirt und Jeans und ziehe mir den blassblauen Pulli über. Es ist der einzige, der kein Loch hat. Ich laufe mit Dad durch die Stadt und den steilen Hang hinauf zu der Reihe neuer Häuser, die sich hoch oben an den Klippen entlangzieht.
Die Häuser verstecken sich hinter hohen Mauern und vergitterten Zufahrtswegen. Vor den Doppelgaragen stehen große Allradwagen und funkelnde Limousinen. Vom Neubaugeländeauf der anderen Straßenseite her wehen uns Staubwolken entgegen.
»Manche Menschen haben das ganze Glück gepachtet«, sage ich. »Wetten, dass die Moana für die nur ein Spielzeug sein wird?«
»Mr Andersen scheint in Ordnung«, sagt Dad.
»Ist das der Mann, der sie kaufen will?«
Dad nickt. »Er hat mir erzählt, dass er früher viel gesegelt ist. Jetzt gehört ihm eine Softwarefirma in London. Er sagt, er hätte dort fünfzehn Jahre zu lange gelebt und deshalb will er hierher ziehen. Und einen Sohn hat er auch, etwa in deinem Alter.«
»Na toll«, murmle ich. Ich hatte gedacht, jemand von außerhalb würde die Moana kaufen und sie mitnehmen. Aber irgendwie wäre es noch schlimmer, wenn jemand hier in der Bucht mit ihr segeln würde.
»Das ist das Haus«, sagt Dad.
Wir bleiben am Ende der Straße vor einer mit Kies bedeckten Auffahrt stehen. Dad läutet an einer Gegensprechanlage in der Mauer und schon gleiten die Automatiktore auf. Im Hauseingang steht ein Mann mit ausgewaschenen Jeans und T-Shirt. Ich starre ihn an. Mr Andersen hatte ich mir mit Anzug und Krawatte vorgestellt.
»Mr Wood«, lächelt er und streckt Dad die Hand entgegen.
Dad schüttelt sie. »Darf ich Ihnen meine Tochter Kara vorstellen.«
Mr Andersen dreht sich zu mir. »Schön, dich kennenzulernen, Kara.«
Ich vergrabe meine Hände tief in den Hosentaschen und lasse den Kies unter meinen Schuhen knirschen.
»Treten Sie doch ein«, sagt Mr Andersen. »Ich hole meinen Sohn. Du musst ihn kennenlernen.«
Während Mr Andersen
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