Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
weil sie nicht mehr so viele Hummer und Krabben fangen. Und der Fischmarkt in der Stadt will die Jakobsmuscheln nicht ankaufen«, sagt er. »Wenigstens unterstützt er den freiwilligen Verzicht noch. Die Trawler, die hier fischen, müssen ihren Fang sonst wohin bringen.«
Ich schüttle den Kopf. »Fürs Erste«, sage ich. Ich weiß,dass Onkel Tom auf einem anderen Boot Arbeit gefunden hat. Auch er wird bald da draußen sein. Und er ist nicht der einzige Fischer im Ort, der auf die Trawler geht. Dad hat sie sagen hören, es sei nicht fair, dass andere Fischer die Muscheln einheimsen, die eigentlich ihnen gehören. Ich blicke hinaus aufs Meer. Wenigstens war es in den vergangenen Tagen zu stürmisch, um da draußen zu arbeiten. Die hohen Wellen haben herausgebrochene Riffteile angeschwemmt. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es jetzt dort aussieht, vielleicht wie auf einem Geisterriff. Vielleicht so wie auf den Fotos von einem zerstörten Regenwald, nur eben unter Wasser – wo es niemand sieht.
Felix zieht sich die Kapuze über den Kopf. Wir sind heute die Einzigen am Strand. Die schweren Wolken hängen tief am Himmel. Sie jagen über das Kap hinweg und über die Berge dahinter. Vom Meer her schlägt uns kalter Regen ins Gesicht.
»Aber Angel haben wir gerettet«, sagt Felix. »Das zählt schon was.«
»Ich weiß«, sage ich, »ich wollt’, wir könnten sie wiedersehen.«
Jeden Tag haben wir nach den Delfinen Ausschau gehalten, aber seit dem Tag, an dem Angel freigelassen wurde, sind sie verschwunden. Carl hat uns gebeten, jeden Delfin oder Wal, den wir sichten, in einer Liste einzutragen. An einem Tag hat er uns im Boot der Marine Life Rescue mit aufs Meer genommen. Wir haben Riesenhaie gesehen, wie sie mit ihren segelartigen Rückenflossen durchs Wasser kreuzten und wie sieihre riesigen weißen Mäuler aufrissen, um Plankton aus dem Wasser zu filtern. Wir haben auch graue Seehunde beobachtet, wie sie sich mit ihren vollen Bäuchen auf den warmen Felsen reckten und streckten und in der Sonne schliefen.
»Ich glaube nicht, dass wir heute hier draußen noch viel sehen«, sagt Felix. »Komm schon, gehen wir in die Stadt, was essen.«
Ich stehe auf und reibe mir den Sand von den Händen. »Hörst du jemals auf zu essen?«
Felix grinst. »Das Mittagessen war vor zwei Stunden. Ich bin am Verhungern.«
Wir gehen durch die Straßen der Stadt, aber die Cafés sind alle voll. Hinter den beschlagenen Scheiben sieht man Familien an den Tischen sitzen. Taschen, Mäntel und Regenschirme liegen verstreut auf den Stühlen.
»Wir könnten vom Take-away Pommes frites mitnehmen und sie auf der Moana verputzen, unter der Plane«, schlage ich vor. »Ist zwar nicht viel Platz, aber wir wären im Trockenen.«
»Vorläufig reicht das.« Felix grinst. »Wenn ich meine Jacht für die Soloweltumrundung kriege, haben wir mehr Platz.«
Ich lache. »Also hast du immer noch vor, nächste Woche an der Regatta teilzunehmen?«
»Yep«, sagt er. »Das letzte Mal haben Dad und ich für die Strecke Gull Rock und zurück weniger als eine Stunde und dreißig Minuten gebraucht.«
»Nicht schlecht«, sage ich. Im Stillen jedoch bin ich beeindruckt.Die schnellste Zeit, in der Dad und ich die Strecke mit der Moana geschafft haben, war eins fünfundvierzig. Aber das erzähle ich Felix nicht. Er und sein Dad waren fast jeden Tag zum Segeln draußen. Ich habe sie vom Strand aus beobachtet. Ich habe sie beobachtet und mir gewünscht, auch da draußen zu sein, mit Dad und der Moana , wie wir es immer gemacht haben. Aber im Augenblick findet er immer etwas, was er noch tun muss, selbst wenn er nicht arbeiten muss. Er ist einfach nicht mehr daran interessiert. Als hätte er der Moana den Rücken zugekehrt. Vielleicht, weil er der Tatsache, dass er sie verlieren wird, nicht ins Auge sehen kann. Vielleicht ist das mit seinen Gefühlen mir gegenüber genauso.
Felix und ich nehmen unsere Pommes von der Theke. Damit sie trocken bleiben, stecke ich meine Schachtel in den Regenmantel. Dann nehmen wir die Abkürzung über den Rope Walk hinunter zum Hafen. Der Regen hämmert auf die Dächer und das Wasser strömt quer über unseren Weg. Ich eile voraus, weil ich so schnell wie möglich dem Regen entrinnen will. Felix ruft nach mir und ich drehe mich um. Er stolpert und schlägt mit den Knien auf dem harten Pflaster auf. Seine Pommes landen im Rinnsal.
Ich renne zurück und hocke mich neben ihn. »Tut mir leid, ich hätte nicht vorlaufen sollen.«
Ich
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