Im Zimmer wird es still
auf und klemmt einen neuen Beutel an.
Schwester Evelyn kommt, aber ihr ruppiges Auftreten kann ihrer neugewonnenen Nähe nichts anhaben. Als sie wieder draußen ist, setzt er sich zu Peter auf die Bettkante, nimmt seine Hand.
»Ich mach dann bald Abendbrot.«
Peter lächelt, bittet ihn, noch ein wenig Musik anzumachen.
Er geht zum CD-Regal. Legt eine CD ein, setzt sich noch einmal zu Peter. Eine raue, brüchige Bluesstimme füllt den Raum. Sie singt vom Regen auf einem Dach, von offenen Fenstern und Kindern auf der Straße. Er betrachtet Peters entspanntes, müdes Gesicht. Die Schwester ist fertig, das Abendbrot hat Zeit. Es ist gleichgültig, wie spät es ist, was als Nächstes ansteht. Es ist nicht so wichtig. Peter betrachtet ihn mit so viel Wärme, dass er verlegen wird, aber er weicht seinem Blick nicht aus.
Er nimmt Peters Züge in sich auf. Seine Haut, die blasser geworden ist. Die Linien neben seinem Mund, tiefer jetzt. Seine Lippen, die Genuss und Sinnlichkeit oder Unwillen mit dem Grad ihrer Weichheit ausdrücken können. Peters Gesicht hat sich kaum verändert, bleibt sein Ankerpunkt im langsamen Verfall seines Körpers. Er will nicht, dass sich auch in Peters Gesicht die Zeichen der Krankheit einschleichen.
Die Stimme singt von Verlust, melancholisch, aber mit der Gewissheit, nicht ohne Halt zu sein. Sie flattert um einen Punkt, nur von einem zurückhaltenden Piano begleitet. Sie steigt auf, verhält, schafft Freiräume für Stille, in denen sie weiter schwingt. Die Musik kriecht in sein Ohr, dann weiter in seinen Körper. Er summt leise mit. Peters Hand berührt seine Wange, sein Daumen streicht über seine Lippen.
Er kann die Traurigkeit zulassen, die in ihm ist. Spürt sie in diesem Moment, als einen Teil von sich. Sie ist nicht wegzuwischen durch tröstende Worte.
Als die CD mit einem surrenden Geräusch stoppt, ist er erstaunt, wie viel Zeit vergangen ist. Bevor er in die Küche geht, um das Abendessen vorzubereiten, legt er eine neue CD ein. Peter ruht sich aus. Die Musik verbindet sie miteinander.
Zum Essen holt er einen kleinen Tisch aus dem Flur, stellt ihn neben das Bett. So sind sie näher beieinander, als sie essen, und er muss nicht unbequem am Couchtisch sitzen.
Nach dem Abendbrot schließt er die Vorhänge, macht zwei Lampen an.
»Wollen wir ein Fotoalbum ansehen?«, fragt er ihn.
»Gern.«
»Was hältst du von unserem ersten Urlaub?«
»Viel.«
Er blättert langsam, Peters Hand bremst ihn immer wieder. Da sind Bilder von Peter am Strand, sein Körper sportlich und schön. Er selbst, übermütig und so viel jünger, wie er über den Strand läuft, über seine Schulter zu Peter blickt. Das Meer in der Dämmerung, schäumende Wellen auf dem leeren Strand.
Ein Foto vom letzten Tag, auf einer Klippe hoch über dem Meer. Peter hält die Kamera und er hat sich an ihn gelehnt, ihre Gesichter nah beieinander lächeln in die Linse. Beide gebräunt und strahlend, der Wind fährt durch ihre Haare.
»Das war eine schöne Zeit«, sagt Peter.
Er beugt sich vor und küsst ihn, und dieser Kuss ist jenseits von Zeit und Raum. Jenseits ihrer Umgebung, des Krankenbetts und der Abendstunde.
Er erschrickt, als das Telefon klingelt, sie aus ihrer Vertrautheit reißt. Es ist Peters Mutter, die mit sachlicher Stimme ›Guten Abend‹ sagt. Er gibt den Hörer weiter. Peter begrüßt seine Mutter freundlich, mit einem gewählten, fast vornehmen Unterton, den er sonst nicht hat.
Er stellt die Musik leiser und bedeutet Peter mit einer Geste, dass er gleich rausgehen wird, aber der winkt ihn wieder heran. Er setzt sich auf die Couch und lauscht Peters kurzen Antworten. Es geht um alte Bekannte, dann um seinen Bruder.
Peters Mutter ruft mit der Verlässlichkeit eines Uhrwerks einmal in der Woche an. Sein Vater eigentlich nie, er lässt sich nur hier und da den Hörer weitergeben und wechselt ein paar Worte mit seinem Sohn.
Sie sind erst einmal da gewesen, seit Peter krank ist. Ganz am Anfang, als er im Krankenhaus lag. Seitdem nicht mehr, auch nicht hier zu Hause. Der Gesundheitszustand des Vaters lasse es nicht zu, ist die Entschuldigung der Mutter. Vielleicht ist es auch ein Vorwand. Er hat dieses Gefühl. Natürlich, Peters Vater ist vierundachtzig, aber die Angaben über seine Beschwerden klingen schwammig. Außerdem könnte Peters Mutter auch allein kommen.
Er hat Peter nichts von seiner Vermutung erzählt. Weiß nicht, ob Peter das auch so sieht und wie er sich damit fühlt. Oder ob er es
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