Im Zimmer wird es still
Mutter die Tür auf und dann gingen sie nebeneinander, ein Stück vor ihm. Es hatte zu schneien begonnen. Er betrachtete zufrieden seinen Freund und seine Mutter, die sich angeregt unterhielten und offensichtlich gut verstanden. Als Peter sich von ihnen verabschiedete, umarmte er seine Mutter kurz und küsste ihn – vor den Augen seiner Mutter, was ihm ein bisschen unangenehm war. Aber sie tat so, als wäre nichts.
Draußen ist es unbemerkt dunkel geworden. Er steht auf und zieht die Vorhänge zu. Peter wirkt sehr müde. Sicher ist die ganze Aufregung zu viel für ihn gewesen. Er tritt noch einmal zu ihm, küsst ihn.
»Schlaf gut.«
»Du auch.«
Er stellt die Stereoanlage aus, löscht das Licht, geht aus dem Zimmer. Im Bad grinst er sein Spiegelbild an, liest in seinem Zimmer noch ein bisschen in einem Buch, das er vor Wochen angefangen und dann liegen gelassen hat. Dann löscht er das Licht. Er ist müde, aber nicht so erschöpft wie an anderen Tagen. Er schließt die Augen und findet sich an einem abendlichen Strand wieder. Das Meer rauscht, der Sand ist abgekühlt, aber die Luft ist mild und er schläft in Peters Armen ein.
6
Er erwacht aus tiefem Schlaf. Es gelingt ihm nicht, wieder wegzugleiten und er öffnet die Augen. Es ist völlig dunkel und ganz still, kein Geräusch im Haus, kein Auto auf der Straße. In der Stille und Dunkelheit fühlt er sich verloren. Er dreht den Kopf, um nach der Zeit zu sehen, aber der Blick zum Wecker ist durch etwas verstellt. Ihm fehlt jedes Gefühl, wie spät in der Nacht es ist. Aber wahrscheinlich noch vor Mitternacht.
Es ist das erste Mal, dass er in dieser Nacht aufwacht, aber es wird sicher nicht das letzte Mal sein. Manchmal ist sein Schlaf nur oberflächlich und unruhig. Oder er schreckt plötzlich auf, verwirrt und ängstlich. Wie gerne würde er sich auf die Seite drehen. Früher hat er oft auf der Seite geschlafen. Er kann nicht einfach aufstehen, ein bisschen herumgehen, ein Glas Wasser trinken, sich wieder ausstrecken.
Aber am meisten fehlt es ihm, jemanden an seiner Seite zu haben. Nicht nur, um ihn zu berühren oder von ihm gehalten zu werden, sondern um die beruhigende Anwesenheit eines anderen Menschen zu spüren.
Er entfernt sich immer mehr vom Schlaf. Ein diffuser Schmerz hält ihn davon ab, einzuschlafen. Vielleicht wurde er deshalb wach. An seine Anwesenheit hat er sich schon gewöhnt, ein stetiger Begleiter, dem er versucht, nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Er hat aufgehört, auf Einzelheiten zu achten, den Schmerz zu lokalisieren, seine Stärke zu vergleichen, Spitzen wahrzunehmen. Nur so lässt es sich einigermaßen ertragen.
Mehr Morphium will er nicht. Er will nicht, dass es sein Bewusstsein vernebelt. Ist sich aber nicht sicher, wie sehr es das jetzt schon tut. Manchmal fängt es ihn auf wie eine Wolke. Dann beißt der Schmerz wieder zu. Manchmal schreit er innerlich nach mehr. Mehr von der sanften Wolke. Gibt nichts auf Klarheit, auf sein Bewusstsein, wenn da nur Erleichterung wäre, Trost.
Aber der momentane Schmerz ist noch erträglich. Schlimmer ist sein Gefühl der Verlorenheit. Er sucht nach Halt. Einen Moment denkt er daran, Andreas zu rufen, aber er will ihn nicht aufwecken.
Dann ist sie wieder da, die Hilflosigkeit, die Verletztheit. Die beherrschte Stimme seiner Mutter. Ihr Anruf. Er hatte gedacht, es wäre lange vorbei, würde ihn nicht mehr berühren. Doch seit er krank ist, geht es ihm nahe.
Seine Eltern hatten seinem Bruder immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Als er in die Pubertät kam, verfolgte sein Bruder bereits ehrgeizig sein Studium. Ihre Eltern unterstützten ihn finanziell und waren von seinen Studienerfolgen ebenso begeistert wie von der jungen Frau, die er ihnen einmal vorgestellt hatte.
Er selbst hatte durchschnittliche Zensuren. Aber seine schulischen Leistungen interessierten seine Eltern nur wenig. Seine Mutter wirkte oft unnahbar. Sein Vater schwebte in anderen, geistigeren Sphären. Er zog sich in sein Zimmer zurück und las in seinen Büchern.
Später waren seine Eltern sehr angetan von der hübschen Mitschülerin, die er ihnen vorstellte. Seine Mutter warnte ihn davor, sie zu schwängern. Hätte sie gewusst, dass er, wenn er das Mädchen küsste, an den Schwanz ihres Bruders dachte, den er einmal unter der Dusche gesehen hatte, wäre sie vielleicht weniger besorgt gewesen. Wahrscheinlich aber mehr.
Seine Eltern waren überhaupt nicht begeistert, dass er trotz seines passablen Abiturs eine Lehre
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