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Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Walther
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florierte.
    Martin nahm CDs auf, gab Konzerte, flog um die Welt. Die Zeit raste dahin, sie konnten höchstens fünf Monate im Jahr zusammen sein und sie führten eine offene Beziehung. Er beließ es meist bei One-Nights-Stands, aber er wusste, dass Martin auch tiefergehende Verhältnisse mit Männern pflegte, in manche war er sogar verliebt.
    Seinen fünfunddreißigsten Geburtstag musste er ohne Martin feiern. Der war gerade achtunddreißig geworden und hatte offensichtlich Schwierigkeiten mit dem Älterwerden, die er nicht nachvollziehen konnte. Er fühlte sich zufriedener und ausgefüllter als mit Anfang zwanzig, und konnte sich nicht vorstellen, dass sich das in ein paar Jahren ändern sollte.
    Immer öfter wünschte er sich, Martin wäre länger bei ihm, auch wenn er sich der Reize ihrer abwechslungsreichen Beziehung bewusst war. Manchmal träumte er von einem spießigen gemeinsamen Leben unter einem gemeinsamen Dach, mit Zeitung lesen am Morgen und Klaviersonaten im Hintergrund. In diesen Träumen schliefen sie nicht mit anderen Männern. Auch wenn das bedeutete, jeden Morgen nebeneinander im selben Bett aufzuwachen, die Haare des anderen im Waschbecken zu finden und Leberwurstschnitten statt Lachshäppchen zum Abendbrot zu essen.
    Nach acht Jahren klang Martins Stimme am Telefon weniger warm, seine Anrufe wurden seltener. Dann konnte Martin zu einem geplanten Besuch nicht kommen, die freundliche Gelassenheit seiner Absage erschreckte ihn. Böse Ahnungen ließen ihn nicht schlafen. Eine Woche später stand Martin vor seiner Tür, mit einem jüngeren Mann an seiner Seite. Er sprach von Liebe.
    Eine Woche konnte er kaum schlafen. Terrorisierte seine Freunde mit nächtlichen Anrufen. Konzentrierte sich auf seine Arbeit, igelte sich immer mehr ein. Als er sich selbst nicht mehr leiden konnte, fuhr er weg, vögelte sich den Schmerz von der Seele.
    Dann nahm er sein gewohntes Leben wieder auf. Traf sich mit Freunden, ging auf Partys, hatte Sex. Es gab Avancen und Interessenten, aber er war noch nicht bereit für eine neue Beziehung. An seinem vierzigsten Geburtstag gab er eine große Party und Marks Aufmerksamkeit schmeichelte ihm. Aber er brauchte sie nicht, um sein Selbstbewusstsein aufzuwerten. Er fühlte sich begehrenswert und attraktiv. Mochte das leichte Grau, das seine Haare angenommen hatten, die Linien um seine strahlenden Augen und die Gelassenheit, mit der er sich bewegte.
    Erst Andreas ließ ihn wieder an eine Beziehung denken. Obwohl er ihm eigentlich zu jung war. Aber sein Aussehen, seine ruhige und zurückhaltende Art zogen ihn an.
    Einige beneideten ihn um seinen jungen Freund. Andere machten hinter vorgehaltener Hand spitze und gehässige Bemerkungen. Martin sagte ihm auf den Kopf zu, dass Andreas kein ernstzunehmender Partner für ihn sei. Nicht sein Niveau habe, andere Interessen, keinen Stil. Dass er sich nur jünger fühlen wolle durch ihn. Aber er hatte sich nicht in Andreas verliebt, weil er jung war, auch wenn seine jungenhafte Ausstrahlung ihn anzog. Ihm gefiel, dass Andreas trotz seiner zurückhaltenden Natur genau wusste, was er wollte. Andreas war viel stärker, als er sich selbst zugestand.
    Ihm gefiel der Weg, den sein Leben mit Andreas eingeschlagen hatte, er empfand diese Beziehung als seine glücklichste. Er hatte sich Gedanken gemacht, wie es sein würde, wenn er sechzig wäre, Andreas vierzig. Wie attraktiv würde er ihn dann noch finden. Was würde sein, wenn er siebzig, achtzig wäre, wenn er krank würde, gebrechlich, sich Andreas um ihn kümmern müsste. Und er machte sich Sorgen, Andreas nicht abgesichert zurücklassen zu können.
    Ein bohrender Schmerz riss ihn aus seinen Gedanken. Er versuchte, ruhig zu bleiben, aber es half nichts, der Schmerz wurde unerbittlicher. Er konnte ihn nicht mehr ignorieren. Er kam in Wellen, die immer stärker wurden, seinen Körper und sein Bewusstsein überschwemmten. Seine Hände verkrampften sich in der Bettdecke. Er begann zu wimmern, ohne es zu merken.
    ✴ ✴ ✴
    Er dreht sich auf die andere Seite. Hat schon geschlafen, aber jetzt liegt er wach. Es ist noch vor Mitternacht. Er steht im Dunkeln auf, um zur Toilette zu gehen. Im Flur macht er das Licht an, zuckt vor der plötzlichen Helligkeit zurück. Da hört er einen Schrei aus dem Wohnzimmer. Er reißt die Tür auf, stürzt zu Peter.
    Peter schreit wieder, macht die Augen auf. Klammert sich an ihn, als er sich hinunterbeugt. Schluchzt und schreit leise. Er versteht ›Hilfe‹ und

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