Im Zweifel suedwaerts
geradebiegen kann. Und, falls du’s noch nicht gemerkt hast, das ist ein Grund um …«
Ich legte ihm erschrocken eine Hand auf den Arm. Der Groschen war spät gefallen, aber hoffentlich noch rechtzeitig. »Du bist mit Hannes hier?«
Er sah mich gleichzeitig verständnislos und zornig an. »Was hat das denn jetzt damit zu tun?!«
Ich ignorierte die Frage. »Wo ist er?«
»Das kann jetzt nicht dein Ernst sein …«
»Doch.« Mir war klar, wie dieser plötzliche Themenwechsel auf Richard wirken musste. So, als wäre mir dieses Gespräch nicht wichtig. So, als versuchte ich, ihm auszuweichen. »Du wirst es verstehen, versprochen«, erklärte ich ihm verzweifelt, denn jetzt ging es darum, einen guten Freund vor sich selbst zu retten, zwei gute Freunde, um genau zu sein. Dieses Beziehungsgespräch ließ sich hinauszögern, ohne dass noch größerer Schaden entstand – Richard und ich hatten ohnehin schon den tiefsten Punkt erreicht.
Das musste Hannes und Lucy nicht auch noch passieren.
»Wir sprechen später, okay? Wo ist er? Bitte!«
Richard schüttelte langsam den Kopf und starrte einfach nur vor sich auf den Boden. So lange, dass ich irgendwann befürchtete, er würde jetzt aufstehen und gehen und mir gar nichts sagen, mich hier sitzenlassen und nie wieder ein Wort mit mir reden. Aber irgendwann antwortete er doch. »Als wir hier angekommen sind, hab ich bei Betty angerufen. Du gehst ja nicht mehr an dein Handy, weil du offensichtlich nicht gestört werden willst …«
Ich ignorierte diesen Seitenhieb und war schon auf den Beinen. »Und was hat sie gesagt?«
»Sie hat gesagt, dass du in der Stadt bist und dass alle anderen auf dem Weg zu einer Strandparty sind. Also bin ich hiergeblieben, um dich zu suchen. Weil ich dachte, dass wir uns einen romantischen Abend machen könnten.« Er lachte bitter. »Tja. War wohl nix.«
»Und Hannes?!«, drängelte ich zum dritten Mal, aber ich ahnte es schon.
»Bei der Strandparty, nehme ich an.«
»O Gott! Ramon!«
Ich griff nach Richards Hand (er murmelte etwas wie: »Ich will gar nicht wissen, wer das jetzt wieder ist«) und zog ihn von der Mauer hoch. Dann rannte ich los.
Die Strandparty fand nicht direkt am Strand statt, sondern auf einem etwas höher gelegenen Plateau unterhalb eines Parkplatzes, auf dem sich eine zusammengezimmerte Beachbar und eine Surfschule eine Terrasse teilten, die an diesem Abend als Tanzfläche diente. Stühle und Tische waren an den Rand neben die Balustrade geschoben worden, auf der noch Neoprenanzüge der letzten Surfklasse des Tages trockneten. Bunte Lampen sorgten für gedämpftes Licht, und ein aufgekratzter DJ sorgte für die musikalische Untermalung, eine Mischung aus alten und neuen Sommerhits, jetzt gerade »Club Tropicana« von Wham!, ein Klassiker und zufällig auch einer unserer Favourites von Lucys Mixtape. Die Party war überaus gut besucht. Auf der Terrasse war kaum noch genug Platz, um sich zu bewegen, und einige der Gäste hatten sich mit ihren Getränken in den feuchten Sand unterhalb des Plateaus gesetzt, um sich dort im hellen Licht des fast vollen Mondes in Ruhe zu unterhalten. Es war schön hier, und unter anderen Umständen hätte ich mich mit Vergnügen unter die Feiernden gemischt. Aber nicht heute, nicht jetzt. Jetzt war ich auf einer Mission. Ich musste Lucy finden. Oder Hannes. Wobei ich hoffte, dass er, da er nicht ortskundig war, mehr Zeit als wir gebraucht hatte, um die Veranstaltung zu finden.
Diese Hoffnung wurde enttäuscht.
Als wir die sandige Holztreppe vom Parkplatz zu der Terrasse hinunterstiegen, erkannte ich ihn sofort in der Menge: lang, dünn und vor allem blasser als alle anderen. Er stand neben Betty an der Bar, ein volles Glas in der Hand, mit einem suchenden Blick im Gesicht, der darauf schließen ließ, dass auch er Lucy noch nicht gefunden hatte. Das zumindest war ein Lichtblick.
Betty nickte und bewegte sich auf der Stelle im Takt der Musik, zog an ihrem Strohhalm und winkte uns zu, als sie uns am Rand der Tanzfläche erspähte. Ich fühlte eine gewisse Wut in mir aufsteigen, weil sie Richard geradewegs zu Felix und mir geführt hatte. Für jemanden, der Verrat so verurteilte, wie sie es tat, war das eine erschreckend hinterhältige Aktion gewesen. Insofern konnte ich mir nicht verkneifen, ihr im Vorbeigehen ein bedrohliches »Wir sprechen uns später noch!« ins Ohr zu zischen, bevor ich ihren gespielt ahnungslosen Gesichtsausdruck ignorierte und Hannes zur Begrüßung kräftig
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