Im Zweifel suedwaerts
an und blies den Rauch langsam aus. »Ich kapier das einfach nicht. Wieso sollte man sich streiten, wenn man auch einfach Sex haben kann?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kann keinen Sex haben, wenn ich sauer bin.«
»Und ich hab keinen Sex. Punkt.« Sie kniff die Augen gegen den Rauch zusammen. »Ich glaube, Mo hat ’ne Neue. Der versucht es nicht einmal mehr bei mir. Aber«, sie warf mir einen verschwörerischen Blick über den Tisch hinweg zu, »dafür fahren wir ja in den Urlaub. Unter anderem.«
»Also ich nicht!«
»Nee, du nicht, Schätzelein. Du willst lieber drei Wochen lang darüber nachdenken, was es noch alles für Sachen gibt, die dich an Richard stören. Aber ich, ich habe vor, mich vollkommen und komplett zu amüsieren. Mit allem, was dazugehört. Sonne, Strand, Völlerei, Sex. Das ganze Programm.« Mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen nahm sie einen weiteren Zug von ihrer Zigarette.
Ich musste lachen. »Von mir aus. Nur zu.« Irgendwo in meinem Bauch kribbelte es. Vorfreude. Die Aussicht auf drei Wochen ohne den ganzen Ärger. Und wenn ich zurück war, würde sich bestimmt alles klären, ein bisschen Abstand hatte schon oft wahre Wunder bewirkt, war es nicht so? Absence makes the heart grow fonder.
»Hast du schon gepackt?«, fragte ich Betty und war nicht überrascht von ihrer Antwort.
»Mach ich morgen früh.« Nebenan entfesselten Hannes und Richard ihren inneren Kurt Cobain und gaben eine krude Wohnzimmerversion von »About A Girl« zum Besten. »Erinner mich daran, dass ich meine Gitarre mitnehme.«
»Wann? Jetzt?«
»Und vielleicht morgen noch einmal, wenn wir auf der Autobahn sind«, Betty lehnte sich auf der Küchenbank zurück. »Dann scheiß ich drauf und fahr einfach weiter.«
»Apropos weiterfahren …« Ich beugte mich über den Tisch und klaute Bettys Zigarette, um auch einen Zug zu nehmen. »Wohin fahren wir eigentlich?« Es mag erstaunlich klingen, aber die Frage unseres Reiseziels hatten wir bisher nicht geklärt. Wir hatten den Bus, wir waren frei. So sah Betty das und hatte sich bisher auf kein Ziel festlegen wollen. Da sie unsere einzige Fahrerin war, lag diese Entscheidung ohnehin im wahrsten Sinne des Wortes in ihrer Hand. Und das war im Grunde auch in Ordnung. Aber: »Die grobe Richtung wüsste ich schon gern, Betty. Ich hab’s nicht so mit der großen Ungewissheit.«
»Woher soll ich denn jetzt bitte wissen, wo wir …«, begann sie, hielt aber an sich, als sie mein Gesicht sah. »Du bist echt ein Kontrollfreak, Schätzelein, weißt du das?«
»Abenteuer waren noch nie mein Ding.«
»Ja, und dagegen solltest du dringend etwas tun. Wenn man immer alles durchplant, bringt man sich ja um den ganzen Spaß.«
»Betty …!«
»Ist doch so.« Sie nahm mir die Zigarette wieder ab und seufzte entnervt. »Da hab ich mir ja genau die richtige Reisepartnerin ausgesucht. Großartig. Aber okay, gut, von mir aus. Wir fahren …«
Ich lächelte sie erwartungsvoll an. »Ja?«
»Richtung …«
»Jetzt sag!«
Mit einem Grinsen drückte sie die Zigarette im Aschenbecher aus. »Im Zweifel immer südwärts.«
Meine Großmutter hatte mir zwei wichtige Beziehungstipps mit auf den Weg gegeben. Nummer eins: Man soll niemals im Streit ins Bett gehen. Zu ihrer Zeit war diese ganze Versöhnungssex-Angelegenheit anscheinend noch nicht so weit verbreitet gewesen. Oder sie existierte nur als stiller Zusatz: Man soll nie im Streit ins Bett gehen, es sei denn, man hat vor, ihn mit hemmungslosem Versöhnungssex vergessen zu machen. Betty hätte das unterschrieben, ich war wie gesagt nicht der Typ dafür. Für mich kam erst die Versöhnung, dann der Sex. Und wenn es keine Versöhnung gab, dann gab es auch keinen Sex. Schlimmer noch: Dann kam es zu dem, wovor Oma Mathilde eigentlich hatte warnen wollen: dem Einschlafen im Zorn.
Ihre zweite Warnung: Eine Beziehung ist wie eine Vase. Wird sie nicht pfleglich behandelt, dann bekommt sie Risse. Man kann sie natürlich kleben, aber das sieht dann meistens scheiße aus. Oma Mathilde hätte nie das Wort »scheiße« benutzt, aber sinngemäß war es so: Wenn man zu oft kitten muss, kann man das Ding irgendwann auch einfach wegschmeißen.
Als Betty sich verabschiedet und Hannes sein Nachtlager im Wohnzimmer aufgeschlagen hatte, lagen Richard und ich nebeneinander in unserem Bett, zum letzten Mal für die Dauer von drei Wochen, und mir kam Oma Mathilde in den Sinn, die immerhin von ihrem siebzehnten Lebensjahr bis zu ihrem Tod mit
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