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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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Nur unterhalten.«
    Ich lächelte gequält. »Nicht geküsst?«, fragte ich und wollte die Antwort eigentlich nicht hören. Was, wenn sie »doch« sagte? Wie sollte ich das Hannes erklären? Oder es vor ihm geheim halten? Beides wäre gleich unmöglich.
    Aber Lucys Gesicht hätte nicht schockierter aussehen können, wenn ich sie gefragt hätte, ob sie Lust hätte, nackt mit mir durch das historische Stadtzentrum von Boulogne-sur-Mer zu laufen. »Geküsst?«, fragte sie in dem angewiderten Tonfall einer Vierjährigen.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich hatte den Eindruck, du magst ihn ganz gern.«
    »Man muss ja nicht immer gleich küssen. Ich will gar nicht küssen. Niemanden.« Sie klang äußerst aufgebracht.
    Ich hätte also besser einfach die Klappe gehalten. Oder das Thema gewechselt. Aber nein, natürlich tat ich das nicht. »Auch Hannes nicht?«, fragte ich sie vorsichtig. Und das kam gar nicht gut an.
    »Hannes ist ein Vollidiot.« Lucy spuckte die Worte förmlich in den Sand vor ihren Füßen, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte erzürnt aufs Meer hinaus. »Du weißt ja nicht, was er gemacht hat! Weißt du, was er gemacht hat? Das ist so schlimm, das kann ich dir gar nicht erzählen. Das ist so schlimm, dass ich mich für ihn schäme. Und für mich selbst auch.«
    Das war nun also der Punkt, an dem ich mich entscheiden musste. Traute ich mich, Lucy zu erzählen, was ich wusste, und ging das Risiko ein, dass sie vor Scham und Wut auf der Stelle explodierte (oder zumindest erbost davonstapfte und wir den Nachmittag damit verbringen durften, sie zu suchen)? Oder ließ ich den Moment verstreichen und eierte den ganzen Urlaub lang um das Thema herum? Ich entschied, dass letzteres Verhalten unehrlich und feige und in einer echten Freundschaft nicht akzeptabel wäre, holte noch einmal Luft, sammelte Mut und sagte: »Ich weiß, was er gemacht hat, Lucy.«
    Sie fuhr herum. »Woher?!«
    »Er hat es mir erzählt. Als du ihn rausgeworfen hast und er nicht wusste, wo er schlafen sollte, ist er zu uns gekommen, und wir haben uns unterhalten. Ich habe ihn quasi gezwungen, mir …«
    »So ein Mistkerl!« Sie sprang von der Treppe auf. Die Decke fiel in den Sand. Lucy zitterte. Vor Wut oder vor Kälte, beides war möglich, aber Ihr Gesicht lief rot an, was meistens ein Indiz für Ersteres war.
    Ich versuchte, sie zu beruhigen. »Ich versteh ja, dass du sauer bist. Aber Hannes geht es doch auch schlecht. Und er musste mit jemandem reden. Lucy, es tut ihm wirklich leid. Ich bin mir sicher, wenn du mit ihm sprechen würdest und ihm noch eine Chance geben könntest, dann …«
    »Auf wessen Seite bist du eigentlich?«, kreischte sie. Der Wind wehte ihre Haare wirr durcheinander. Tränen schossen ihr in die Augen.
    An dieser Stelle erhob ich mich ebenfalls von meinem Platz. Ich ließ mich ohnehin nicht gern anschreien. Aber wenn es unbedingt sein musste, dann wenigstens auf Augenhöhe. »Ich bin auf keiner Seite, Lucy. Ich find’s bloß total schade, dass es so gekommen ist. Ihr passt doch eigentlich so gut zusammen …, und ich bin mir sicher, dass ihr das wieder hinbekommt. Ganz bestimmt.« Ich wollte sie umarmen, aber sie wich mir aus und machte ein paar Schritte rückwärts auf den Strand. Dort zog sie die Nase hoch und warf mir einen hasserfüllten Blick zu, bevor sie mir den Rücken zuwandte und davonstapfte, wie ich es vorausgesagt hatte.
    »Lucy!«, rief ich ihr nach. »Bleib hier! Bitte!«
    Aber sie drehte sich nicht einmal um, wie nicht anders zu erwarten. Sie hatte diese Art an sich, von Prinzessin auf Drama-Queen in fünf Sekunden. Maximal.
    Ich seufzte und ließ die Schultern sinken, während ich ihr nachsah. Damit war dann also klar, wie wir unseren Nachmittag verbringen würden.
    »Schon wach, Schätzelein?«
    Ich drehte mich um und sah Betty in Jogginghose auf mich zukommen. »Ja, allerdings«, rief ich ihr zu. »Und vielen Dank, dass du mir Bescheid gesagt hast, als du abgehauen bist.« Ich stemmte meine Hände in die Hüften und bemühte mich um einen deutlich sarkastischen Tonfall, damit nicht alle Spuren davon vom Parkplatzwind verweht wurden.
    »Ich wollte dich nicht aufwecken. Ist doch Urlaub.« Sie stellte sich neben mich und ließ ihren Blick über den Strand schweifen. »Ist das Lucy?«
    »Jep.«
    »Wohin geht sie denn?«
    »Keine Ahnung. Sie ist sauer.«
    Betty zuckte mit den Schultern. »Na ja, Urlaub eben, nech? Jeder so, wie er will.« Sie zog ein Päckchen Tabak aus der Plastiktüte,

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